Leizpig. “Wir stehen heute an einem realen Wendepunkt”, erklärte Dr. Petra Reis-Berkowicz, zum Start der KBV-Vertreterversammlung am Montag (26.5.). Nun sei die Möglichkeit gegeben, die ambulante Versorgung nah Jahrzehnten grundlegend neu zu gestalten.
Die Patientensteuerung sei ein politisches Kernthema für die neue Legislatur, erklärte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV. Das Ziel eines Primärarztsystems mit einer verbindlichen Koordinierung und besseren Steuerung der Versorgung sei nun gesetzt.
Eine Beibehaltung der freien Arztwahl bei gleichzeitigem Primärarztsystem – wie es im Koalitionsvertrag verankert ist – könne jedoch nicht funktionieren, unterstrich Gassen. Es müsse ein verbindliches Element her, damit sich auch GKV-Versicherte an die dann vorgegebenen Regeln halten würden.
GKV-Versicherte in die Pflicht nehmen
In dem von der KBV vorgelegten Positionspapier ist deshalb eine Selbstbeteiligung von Patienten vorgesehen, die sich nicht an die Regeln halten würden.
Daneben sieht das Konzept der KBV folgendes vor:
- Als Primärärzte fungieren Hausärztinnen und Hausärzte (d. h. Allgemeinmediziner beziehungsweise hauärztlich tätige Internisten), Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin oder Fachärztinnen und Fachärzte für Gynäkologie und Geburtshilfe.
- Patienten, die beispielsweise unter einer schweren chronischen Erkrankung leiden, muss der Direktzugang zu einem fachärztlichen Bezugsarzt ohne Überweisung ermöglicht werden.
- Ebenfalls ohne Überweisung können Fachärztinnen und Fachärzte für Augenheilkunde sowie ärztliche und psychologische Psychotherapeuten aufgesucht werden.
- Für reine Früherkennungsuntersuchungen und Schutzimpfungen ist ebenfalls keine Überweisung erforderlich.
Für Aufgaben wie Terminvermittlung, Behandlungsplanung und Nutzung von Telemedizin, so die Forderung der KBV im Papier, seien Gebührenordnungspositionen in den EBM aufzunehmen.
Dabei seien Leistungen, die über bereits im EBM bestehende Inhalte hinausgehen, von den Krankenkassen zusätzlich zu finanzieren. Ergänzt wird das System durch die Terminvermittlung über die 116117.
Modell wie ein Schweizer Käse
Das Papier lasse Versicherten zu viele Hintertürchen offen, lautete ein Kritikpunkt in Leipzig. Es werde “hier ein Primärarztmodell nach dem Prinzip „Schweizer Käse“ vorgeschlagen – mit unzähligen Ausnahmen, Schlupflöchern und alternativen Versorgungspfaden. Effiziente Versorgung und klare Strukturen sucht man hingegen vergebens”, kommentierten Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier das vorgelegte Positonspapier.
Das Ende vom Lied werde sein, meinen die Co-Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes weiter, dass nur ein kleiner Teil der Patientinnen und Patienten wirklich von den Vorteilen eines Primärarztsystems profitieren würden. Die meisten würden auch zukünftig auf sich alleine gestellt durch das System irren.
Dennoch stimmten 50 Ärztinnen und Ärzte für das Papier.
Skurrile Idee: Zu- und Abschläge
Scharfe Kritik übten die Delegierten an der geplanten Umverteilung im KV-System. In einem budgetierten System auch noch Geld umzuverteilen, in dem Abschläge in überversorgten Gebieten und Zuschläge in unter- oder drohend unterversorgten Gebieten eigenführt werden sollen, sei skurril.
Mit Blick auf den 129. Deutschen Ärztetag, der am Dienstag (27.5.) startet, plädierten viele Delegierte für die Zustimmung zur GOÄneu. Über die mit dem PKV-Verband konsentierte GOÄ-Novelle soll geplant am Donnerstag (29.5) abgestimmt werden.