Dass sich ein Thema quasi “live” auf die Tagesordnung eines Hausärztinnen- und Hausärztetags (HÄT) katapultiert, ist selten. Doch mit ihrer Ankündigung, dass Apotheken ur-ärztliche Aufgaben übertragen bekommen sollen, hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) zwei Tage vor dem Start des 46. HÄT genau das geschafft: Noch aus dem Sitzungssaal heraus initiierte der Verband einen offenen Brief an die Ministerin, dem sich acht weitere ärztliche Verbände anschlossen. Von den Plänen sei “dringend Abstand zu nehmen”, fordert die Allianz darin (www.hausarzt.link/bV2sT).
Aus zwei Gründen warnten die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes (HÄV), Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier, vor der Reform: Sie stelle einerseits eine Gefahr für die Patientensicherheit dar, wenn Apotheker verschreibungspflichtige Arzneien ohne ärztliche Verordnung abgeben, zudem konterkarierten die entstehenden Doppelstrukturen das geplante Primärarztsystem.
Umfrage belegt Reformwillen
Dieses gewinnt nicht zuletzt vor dem Hintergrund des demografischen Wandels an Dringlichkeit. Dass die heranrollende “Alterswelle” sowohl von Versicherten als auch von Praxisteams ein Umdenken erfordern wird, zeigt eine aktuelle Befragung im Auftrag des HÄV (www.hausarzt.link/eBweG).
Gut drei von fünf Menschen stimmten darin zu, dass es grundlegende Reformen braucht – auch, wenn das eigene Umstellungen bedeutet (Abb. 1). Etwa ebenso viele wären bereit, für eine bessere Versorgung an einem Hausarztprogramm teilzunehmen.
“Die Menschen spüren, dass ihre hausärztliche Versorgung auf dem Spiel steht”, bilanziert Beier. Der demografische Wandel sei schon heute im Praxisalltag spürbar, unterstrich gemeinsam mit der Verbandsspitze Kerstin Petermann, MFA und Primary Care Managerin (PCM). “Wir Praxisteams stehen bereit. Wir können und wir wollen entlasten.”
Buhlinger-Göpfarth erinnerte, dass das Rad nicht neu erfunden werden müsse. Mit der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) und dem HÄPPI-Konzept, das Praxen jeder Größe und Struktur entlasten könne, stünden zwei erprobte Wege bereit. Die HZV könne jederzeit ausgerollt werden.
Die Selbstverwaltung hingegen sei mit der Ausgestaltung des im Koalitionsvertrag verankerten Primärarztsystems schlichtweg überfordert, skizzierten Buhlinger-Göpfarth und Beier in ihrem Bericht zur Lage (www.hausarzt.link/7qbqv). Welche Gedanken das Ministerium hierzu hat, dazu ließ Gesundheitsstaatssekretär Tino Sorge (CDU) als Gast nichts durchblicken. Dass die Hausärzte einbezogen werden müssen, sei jedoch klar.
Auf den offenen Brief lag bei Redaktionsschluss noch keine Reaktion vor.
Hausärztinnen mit neuem Sprecherinnen-Trio
Das Forum Hausärztinnen hat ein neues Sprecherinnen-Trio. Neben der bereits amtierenden Sprecherin Dr. Nadja Jesswein (Niedersachsen) wurden Dr. Andrea Morawe (Sachsen-Anhalt) und Dr. Melanie Rose (Westfalen-Lippe) in das Amt gewählt. Bisher hatte Jesswein das Forum mit Dr. Susanne Bublitz und Laura Dalhaus nach außen vertreten.
In Berlin hat das Forum zwei Anträge für eine verbesserte Versorgung während der Menopause eingebracht.
Staffelübergabe im IHF steht bevor
Nach 16 Jahren als Vorsitzender des Instituts für hausärztliche Fortbildung (IHF) wird Dr. Hans-Michael Mühlenfeld den Staffelstab in diesem Jahr an Ruben Bernau weitergeben. Er tue das mit „überaus gutem Gefühl“, sagte Mühlenfeld in einer gemeinsamen Rede mit seinem Nachfolger. Für sein Engagement erhielt Mühlenfeld Standing Ovations.
„Ich habe mich 2009 ins IHF verliebt, dann irgendwann verlobt und jetzt verheiratet“, sagte Bernau, der aktuell 1. Vize-Vorsitzender ist, mit einem Lachen. Im Oktober feiern beide die 50. practica.
Ministerium: „Wir tun unser Bestes“
Dass Hausärztinnen und Hausärzte im Gesundheitssystem eine unverzichtbare Koordinierungsfunktion einnehmen, das steht für Gesundheitsstaatssekretär Tino Sorge (CDU) außer Frage. Das machte er in Vertretung für Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) als Gast des Gesellschaftsabends deutlich.
Ohne Konkretes zu nennen, sicherte er zu, die Hausärzte bei der Ausgestaltung des Primärarztsystems eng einzubeziehen. „Bleiben Sie uns gewogen, wir tun unser Bestes“, versprach er zum Abschied an einem Abend mit viel Raum für Gespräche.