Berlin. Nur wenige Stunden vor dem Start in die Weihnachtspause haben Bundestag und Bundesrat einen Haken an einen Kompromiss zum Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege (BEEP), kurz Pflegekompetenzgesetz, gesetzt. Der Bundestag hat es am Freitagvormittag (19. Dezember) mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD verabschiedet; AfD und Grüne waren dagegen, die Linke enthielt sich. Der Bundesrat hat das Gesetz am Nachmittag schließlich gebilligt, damit kann es zum überwiegenden Teil zum 1. Januar 2026 in Kraft treten.
Für Hausärztinnen und Hausärzte hatten sich im Laufe des parlamentarischen Verfahrens weitestgehend unbemerkt einige Vorhaben in das Gesetz geschlichen, die auch in der final verabschiedeten Fassung verblieben sind. So wurde beispielsweise die Frist zur Verordnung sonstiger Wundprodukte mit dem BEEP erneut verlängert.
Damit hatte sich das BEEP, das im Kern eine Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufs durch mehr Kompetenzen und weniger Bürokratie zum Ziel hat, zu einem echten „Omnibusgesetz“ entwickelt. Von Dokumentationspflichten in der elektronischen Patientenakte (ePA) bis hin zu Kassen- und Klinikfinanzen waren bis auf die letzten Meter des Gesetzgebungsverfahrens verschiedene Pläne „eingestiegen“ und mitgefahren.
Erstes To do für den Vermittlungsausschuss in dieser Wahlperiode
So war es auch ein fachfremder Passus, der das Gesetz zwischenzeitlich zu kippen drohte. Denn das sogenannte kleine Sparpaket, mit dem die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) kurzfristig um rund zwei Milliarden Euro entlastet werden soll, hatte für heftige Debatten gesorgt. Konkret ging es um Einsparungen von bis zu 1,8 Milliarden Euro bei den Krankenhäusern.
Der Bundesrat war in seiner ersten Abstimmung des Gesetzes Ende November – nachdem der Bundestag bereits zugestimmt hatte – überraschend einer Empfehlung des Gesundheitsausschusses gefolgt und überwies das BEEP an den Vermittlungsausschuss. Dies ist durchaus selten: Der Vermittlungsausschuss wird nur eingeschaltet, wenn sich Bundestag und Bundesrat nicht einigen können, was meist bei zustimmungspflichtigen Gesetzen passieren kann, die – wie hier aufgrund der Klinikfinanzierung – die Länderfinanzen betreffen.
In der aktuellen Wahlperiode war das BEEP das erste Gesetz, zu dem der Vermittlungsausschuss angerufen werden musste. Ein prominentes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit war das Gesetz zur Einführung des Bürgergeldes 2022/2023, das Auswirkungen auf die Verwaltung der Jobcenter und die Länderfinanzen hatte. Der Vermittlungsausschuss schaffte schließlich einen Kompromiss mit unter anderem klareren Sanktionsmöglichkeiten sowie Anpassungen bei den Regelsätzen. Auch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG, 2019), das unter anderem den Ausbau der Terminservicestellen beinhaltete und daher die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) auf Landesebene betraf, musste vom Vermittlungsausschuss geschiedst werden.
Das steckt für Praxen im BEEP
Für das BEEP hat der Ausschuss schließlich einen Einigungsvorschlag auf den Tisch gelegt, der vorsieht, die Auswirkungen der Einsparungen auf das Jahr 2026 zu begrenzen. Konkret soll die Meistbegünstigungsklausel für das Jahr 2026 ausgesetzt bleiben, der Anstieg der Klinik-Vergütungen wird damit zunächst einmalig auf die tatsächlichen Kostensteigerungen begrenzt.
Diesem Vorschlag hat der Bundestag am Morgen des letzten Sitzungstages 2025 (19. Dezember) zugestimmt, unmittelbar danach wurde er erneut im Bundesrat diskutiert und abgestimmt. Weil parallel eine Protokollerklärung angefertigt wurde, um das Ergebnis des Vermittlungsausschusses für die somatischen Krankenhäuser auch für die psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäuser in einem weiteren zeitnahen Gesetzgebungsverfahren zu regeln, stimmte der Bundesrat erst am Ende des Sitzungstages zu. Es war damit quasi die letzte offizielle Handlung des Jahres.
Die final verabschiedete Fassung entspricht – bis auf den vom Vermittlungsausschuss geschiedsten Passus – dem bereits am 6. November 2025 vom Bundestag beschlossenen Gesetz inklusive der vom Gesundheitsausschuss vorgeschlagenen und angenommenen Änderungen, bestätigt das Büro des Parlamentarischen Geschäftsführers Steffen Bilger auf Anfrage der Redaktion von „Hausärztliche Praxis“. Entsprechend sind verschiedene kleinere und größere Vorhaben enthalten, die Hausarztpraxen betreffen. Eine Übersicht:
1. Frist zur Verordnung sonstiger Wundprodukte verlängert
Hausärztinnen und Hausärzte können sonstige Produkte zur Wundbehandlung – unabhängig von einem vorliegenden Nachweis, dass sie medizinisch notwendig sind – bis 31. Dezember 2026 zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnen. Diese Verlängerung der zuletzt bis 2. Dezember 2025 geltenden Frist ist für Hausärztinnen und Hausärzte von großer Bedeutung. Denn die Verordnungsfähigkeit von sonstigen Produkten zur Wundversorgung hatte in den letzten Jahren immer wieder zu Verunsicherung in der Ärzteschaft und auch bei Versicherten geführt, welche Produkte konkret noch auf Kasse rezeptiert werden können. Die Fristen der Ausnahmeregelung waren mehrfach verlängert worden.
„In einem weiteren Gesetzgebungsverfahren soll im Anschluss der Begriff „Verbandmittel“ so definiert werden, dass langfristig eine Versorgung mit notwendigen Verbandmitteln und Wundbehandlungsprodukten sichergestellt ist“, heißt es weiter. Im Interview mit “Hausärztliche Praxis” erklärt G-BA-Chef Prof. Josef Hecken, was das bedeutet.
2. Ausnahmen von der Befüllungspflicht der ePA
In bestimmten Fällen sollen Ärztinnen und Ärzte nicht verpflichtet sein, Daten in der elektronischen Patientenakte (ePA) zu hinterlegen. Hierzu sollen die Paragrafen 347 bis 349 SGB V geändert werden.
Demnach soll die Pflicht entfallen, wenn der Befüllung „erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen oder soweit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohles eines Kindes oder Jugendlichen bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres vorliegen“. Ab 15 Jahren können Jugendliche dann selbst entscheiden, wie mit ihrer ePA umgegangen werden soll, heißt es im Gesetzentwurf.
Wichtig in der Praxis: Ärztinnen und Ärzte müssen die Gründe, warum Daten nicht in die ePA gespeichert wurden, in ihrer Akte im Praxisverwaltungssystem (PVS) „nachprüfbar” dokumentieren.
3. eRezept, SMC-B und Ersatzbescheinigung
Ein neuer Paragraf 340a SGB V soll klarstellen, dass Praxisinhabende ihren Praxisausweis (SMC-B) nicht unbefugt weitergeben dürfen. Bei der Praxisabgabe ist der SMC-B unverzüglich zu sperren, entweder vom bisherigen Inhaber oder dessen Nachfolger.
Um auf eRezepte zugreifen zu können, soll künftig kein Heilberufs- oder Berufsausweis (eHBA) mehr nötig sein. Spätestens ab 1. Januar 2028 sollen Leistungserbringern digitale Identitäten zur Verfügung stehen.
Wichtig in der Praxis: Ärztinnen und Ärzte brauchen weiterhin einen eHBA für die qualifizierte elektronische Signatur.
Einfacher werden soll es auch bei der elektronischen Ersatzbescheinigung (eEB). Diese sollen Praxen künftig via KIM direkt bei der Krankenkasse anfordern können. Bisher können dies nur die Versicherten. Details sollen GKV-Spitzenverband und Kassenärztliche Bundesvereinigung noch regeln.
Wichtig in der Praxis: Ärztinnen und Ärzte müssen die Zustimmung des Versicherten zur Einholung der eEB dokumentieren. Zudem soll dieser Weg eine Ausnahme bleiben.
4. Mehr Rechtssicherheit für Poolärzte im Notdienst
Mehr Rechtssicherheit soll es für Vertrags- und sogenannte Poolärztinnen und -ärzte geben, die sich am ärztlichen Bereitschaftsdienst beteiligen. Seit einem Urteil des Bundessozialgerichts im Oktober 2023 galt die Tätigkeit mehrheitlich plötzlich als sozialversicherungspflichtig, weswegen viele Kassenärztliche Vereinigungen (KV) den Notdienst anders organisieren mussten. Grundsätzlich kritisierten ärztliche Vertretungen, darunter auch der Hausärztinnen- und Hausärzteverband, seitdem, dass die neue Einstufung den Notdienst gefährde, weil regional ggf. nicht mehr genug Ärztinnen und Ärzte für die Dienste gefunden werden könnten.
Die seither bereits getroffenen „untergesetzlichen“ Regelungen sollen nun gesetzlich im SGB V „flankiert“ werden. Demnach sollen die KVen in ihren Satzungen Vorgaben zur Sicherung des Notdienstes festlegen. Sie sollen den Notdienst damit so gestalten können, „dass die Voraussetzungen für eine selbstständige Tätigkeit erfüllt sind“, heißt es im Gesetz. Zudem sollen sie eine Sicherstellungspauschale an Ärztinnen und Ärzte zahlen können, wenn dies zur Sicherung des Notdienstes, etwa in ländlichen Regionen, nötig ist (neuer Absatz 6 in Paragraf 81 SGB V). Diese ist dabei unabhängig von der tatsächlichen Vergütung des Notdienstes.
In § 95 SGB V soll klargestellt werden, dass der Notdienst als „Annex zur Haupttätigkeit“ gilt, wenn Vertragsärztinnen und -ärzte die Tätigkeit übernehmen, zu der sie aufgrund ihrer Zulassung verpflichtet sind.
„Die gefundenen Regelungen werden endlich den Unsicherheiten um den vertragsärztlichen Notdienst ein Ende setzen“, kommentierte Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, im Laufe des parlamentarischen Verfahrens.
5. Mehr Kompetenzen für Pflegefachkräfte
Kern des Gesetzes bleibt es bei allen fachfremden Inhalten, die Kompetenzen des Pflegepersonals zu erweitern. Unter anderem sollen Pflegefachkräfte künftig neben Ärztinnen und Ärzten mehr Leistungen – abgestuft nach ihrer Qualifikation – eigenverantwortlich erbringen dürfen. Dazu zählt etwa die Versorgung von Wunden, Diabetes und Demenz. Auch die Beratung zu Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln wird genannt.
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband sieht grundsätzlich die Zusammenarbeit in interprofessionellen Teams positiv und befürwortet den größeren Handlungsspielraum für Pflegepersonal. In seiner Stellungnahme zum ursprünglichen Gesetzentwurf fordert er aber ein, dass noch genauer geklärt werden muss, dass es sich nicht um Substitution ärztlicher Leistungen handelt, sondern um erweiterte Delegationsmöglichkeiten. Es dürften keine Parallelstrukturen entstehen und brauche verbindliche Qualitätsstandards.
