© Jesswein Dr. Nadja Jesswein ist Hausärztin in Oldenburg in Niedersachsen. Sie ist Sprecherin des Forums Hausärztinnen im Hausärztinnen- und Hausärzteverband. Das Forum hat sich in Vorbereitung des ÄrztetagsBeschlusses für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs starkgemacht.
Können solche Berichte Kolleginnen und Kollegen abschrecken?
Dr. Margit Kollmer: Sicherlich. Wichtig ist aber, dass ich als Hausärztin, die medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche durchführt, dieses Angebot nicht öffentlich machen muss! Es reicht aus, Adresse und Kontaktdaten bei Konfliktberatungsstellen zu hinterlegen, dann ist überhaupt kein Angriffspunkt für diese wenigen, aber tatsächlich sehr belastenden Anfeindungen gegeben.
Was ist jetzt seitens der Politik nötig – auch mit Blick auf eben diese Anfeindungen gegen Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen?
Dr. Nadja Jesswein: Die Politik ist eindeutig am Zug. Als erster Schritt ist wichtig, einen sicheren gesetzlichen Rahmen zu schaffen. Frauen, die sich in einer solchen Notsituation befinden, müssen flächendeckend Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten – und Ärztinnen und Ärzte müssen in diesem Moment legal helfen dürfen.
Dr. Margit Kollmer: Das teile ich zu 100 Prozent. Der erste Schritt ist die Entkriminalisierung. Die Tatsache, dass der Abbruch im Strafrecht verankert ist, bringt so viele Hürden mit sich, beispielsweise die Kostenfrage. Denn natürlich können Kassen nichts finanzieren, was gesetzlich eine Straftat ist. Diese Hürden müssen abgebaut werden. Im nächsten Schritt könnte das Arzneimittelgesetz angepasst und der aktuell nötige Sondervertriebsweg (s. Kasten unten) abgeschafft werden.
Der Abbruch in der Hausarztpraxis
Die organisatorischen und bürokratischen Hürden für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch in der Hausarztpraxis sind Stand heute sehr hoch. Eine erste Tablette nimmt die Patientin in der Praxis ein, zwei Tage später werden die Tabletten zur Blutungsinduktion im “Home Use” eingenommen. Die für den Abbruch verwendeten Arzneien – genau beschrieben in der DEGAM-Handreichung (s. Link-Tipps) – sind nur schwer über einen Sondervertriebsweg zu beziehen. Dafür nötig ist eine Registrierung beim Arzneihersteller sowie das Einreichen der eigenen Genehmigung. Die Firma darf die Tabletten nur nummeriert ausgeben; in der Praxis ist die Dokumentation, welche Packung an welche Patientin herausgegeben wurde, fünf Jahre aufzubewahren. Etwa zwei Wochen nach der Blutungsinduktion wird das Ende der Schwangerschaft formal festgestellt – per Ultraschall in der Praxis oder Urintest mit telefonischer Besprechung.
Link-Tipps
Dass die für einen medikamentösen Abbruch nötigen Arzneien über den Sondervertriebsweg beschafft werden müssen, ist in der Praxis eine hohe Hürde…
Dr. Margit Kollmer: Ja, absolut. Und auch die Apotheker waren sehr verärgert, als dieser eingeführt wurde und ihnen damit quasi entzogen wurde, ein vermeintlich so gefährliches Medikament abzugeben. Dabei haben wir medizinisch viel gefährlichere Präparate. Es geht hier nicht um medizinisch “gefährlich”, sondern um die moralische Komponente. Wenn aber solche Schritte wie der Bezug des Medikaments über die etablierten Wege möglich wird, wären vielleicht auch mehr Ärztinnen und Ärzte bereit, Abbrüche durchzuführen.
Welche Rolle spielt dabei die Zeit? Warum ist es so dramatisch, dass noch keine wirkliche Bewegung in die Neuregelung gekommen ist, die Ziel der neuen Regierung ist?
Dr. Nadja Jesswein: Vor uns liegt noch ein langer Weg: Gesetzliche Neuregelung, Verhandlungen mit den Kassen, Aufnahme in die Regelversorgung und das Festlegen einer entsprechenden Vergütung, was ja auch wieder Zeit erfordert… Die weitere Kriminalisierung ignoriert deshalb die Verantwortung, die wir tragen – und verschlechtert zunehmend die Versorgungslage.
Warum braucht es auch Hausärztinnen und Hausärzte, um Frauen flächendeckend den Zugang zu medikamentösen Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen?
Dr. Margit Kollmer: Für die beiden Abbruchwege gelten unterschiedliche Fristen. Der medikamentöse Abbruch ist bis Schwangerschaftswoche 9+0 zugelassen, also drei Wochen kürzer als der invasive. Das macht es notwendig, dass Frauen flächendeckend schnell in entsprechende Versorgungsstrukturen kommen.
Dr. Nadja Jesswein: Wir Hausärztinnen und Hausärzte sind primärärztlich tätig – und damit erste Ansprechpartner für alle Menschen in allen Lebenslagen. Es gibt flächendeckend immer weniger Anlaufstellen für Frauen in Not. Vor allem in den Flächenländern wird das sichtbar. Es gibt Regionen, da bekommen Patientinnen nicht mal einen Termin zur Schwangerschaftsvorsorge. Das sind Hürden, die dazu führen, dass Fristen für einen Abbruch schlichtweg verstreichen.
Dr. Margit Kollmer: Wir brauchen also, ganz unabhängig von der Fachrichtung, schlichtweg mehr Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Haus- und Frauenärzten?
Dr. Nadja Jesswein: Meine Überzeugung ist, dass wir sehr eng mit den Gynäkologinnen und Gynäkologen zusammenarbeiten müssen. Diese für die Frauen so wichtigen Veränderungen sind nur Hand in Hand möglich. Es ist unnötig, hier auf Konfrontation zu gehen.
Dr. Margit Kollmer: Wir als Hausärztinnen und Hausärzte können den medikamentösen Abbruch begleiten – aber wir können und wollen natürlich niemanden ersetzen. Unsere Botschaft ist: Ja, wir können es – weil wir Primärversorger sind. Aber natürlich braucht es weiterhin die fachärztliche Expertise.
Dr. Nadja Jesswein: Letztlich zeigt auch ein jüngst von den Gynäkologen veröffentlichtes Positionspapier an die Regierung, dass wir an einem Strang ziehen. Oberstes Ziel ist die Frauengesundheit, die wollen wir beide gleichermaßen. Es ist nicht notwendig, hier zu kämpfen.
Dr. Margit Kollmer: Wir müssen in der Debatte zurück zur Sachlichkeit und uns an der Evidenz orientieren.
Was sagt die Evidenz zu den verschiedenen Arten der Schwangerschaftsabbrüche?
Dr. Nadja Jesswein: Sowohl die operative als auch die medikamentöse Methode haben Vor- und Nachteile und gehen mit spezifischen Risiken einher. Insgesamt ist der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland aber sicher. Wichtig ist, dass Betroffene die Methode gemeinsam mit Ärztin oder Arzt selbst wählen können und nicht auf eine Op zurückgreifen müssen, weil sie keinen Zugang zum medikamentösen Vorgehen haben.
Dr. Margit Kollmer: Zudem ist ein operativer Eingriff immer teurer. Das kann man einfach beziffern, in Bayern ist das sehr transparent: Für den sogenannten Home Use, wenn ich Frauen also das nötige Präparat nach entsprechender Aufklärung mit nach Hause gebe, erhalte ich rund 220 Euro. Eine Absaugung, die bei niedrigem Einkommen von den Ländern gezahlt wird, kostet 570 Euro.
Oft fällt der Vorwurf, dass Abbrüche “normalisiert” werden und deren Zahl steigen könnte…
Dr. Margit Kollmer: Nein! Das muss man in aller Deutlichkeit zurückweisen. Dass kein Zusammenhang zu den tatsächlichen Zahlen besteht, zeigen auch Studien. Um die Zahl zu senken, sollte man vielmehr Verhütungsmittel kostenfrei abgeben. Dadurch sinkt nachweislich die Zahl der unbeabsichtigten Schwangerschaften und folglich die Zahl der ungewollten Schwangerschaften, die in einer Abtreibung enden.
Dr. Nadja Jesswein: Mit dieser Behauptung unterstellt man Frauen, den Abbruch als Verhütungsmethode zu verwenden und den Wert des Lebens nicht zu verstehen. Das ist Unsinn! Ein solches Denken als Gesellschaft vertreten zu wollen, wäre ein krasses Zeichen.
Dr. Margit Kollmer: Es geht dabei auch um die Selbstbestimmung der Frau, die wir wahren müssen. Gerade im Umgang mit Lebensanfang und Lebensende, mit Hilfsbedürftigen sowie in Konfliktsituationen zeigt sich, wie eine Gesellschaft tickt. Und da lassen wir ganz große Teile der Gesellschaft im Stich. Wir als Hausärztinnen und Hausärzte sehen das Tag für Tag in unseren Praxen.