Zum Jahresende laufen die Sicherheitszertifikate in Zehntausenden Komponenten zur Anbindung an die Telematik-Infrastruktur (TI) aus, viele Hausärztinnen und Hausärzte stecken gerade mitten im Wechsel von Konnektoren und Co – was im Praxisalltag oft lästige Mehrarbeit bedeutet. Wie schätzen Sie das Zertifikatsthema aus technischer Sicht ein?
Jochen Brüggemann: Ich verstehe, dass das im ohnehin dicht getakteten Praxisalltag ein Ärgernis darstellen kann. Dass Selbstverwaltung und Hersteller davon jedoch scheinbar so überrascht wurden, wundert mich. Denn für uns sind ablaufende Sicherheitszertifikate etwas ganz Normales – und auch etwas Nützliches. So wird ein Moment erzwungen, in dem die Ampel auf Rot gestellt wird, um kurz innezuhalten und zu prüfen, ob der Status quo noch korrekt ist. Man will keinen Komponenten lebenslangen Zugriff auf sicherheitskritische Systeme geben. Insofern sind ablaufende Zertifikate zunächst einmal sinnvoll. Ob man die Zertifikate aber in Hardware gießt, die dann nach fünf Jahren in der Praxis aufwändig ausgetauscht werden muss, darüber kann man sich streiten.
Sie sind kein Fan der Konnektoren der ersten Generation in Form von Plastikboxen, wie sie in den meisten Praxen bislang stehen…
Jochen Brüggemann: (lacht) Nein. Wir hatten von Anfang an kein Interesse, Konnektoren in Arztpraxen zu stellen. Wir bieten eine cloudbasierte Praxissoftware an, das hat für uns nicht zusammengepasst. Sprich: Wir wollen Server und komplexe IT seit jeher aus den Arztpraxen draußen halten. Das, was jetzt als TI 2.0 verkauft wird, machen wir dementsprechend schon seit sechs Jahren: Wir bieten „TI as a Service“ (TIaaS) und betreiben dafür eine riesige Konnektorenfarm vor den Toren von München. Hier stehen hunderte Konnektoren in sogenannten Racks anstatt in der Praxis vor Ort.
Im Zuge der ablaufenden Zertifikate rückt auch das TI-Gateway in den Vordergrund. Wo genau liegen die Unterschiede zwischen Einbox-Konnektoren, TIaaS und TI-Gateway?
Jochen Brüggemann: Technisch ist der Unterschied äußerst gering. Im Grunde ist es so: Ihre Praxissoftware spricht mit einem Konnektor, er ist das Bindeglied zwischen PVS und TI – egal, wo der Konnektor steht. Optisch unterscheiden sie sich leicht voneinander: Der Konnektor, der in der Praxis steht, sieht ein bisschen aus wie eine Fritzbox, die man auf den Bauch gelegt hat. Die Konnektoren in unseren Racks sehen so aus wie die, die man aus Rechenzentren in Spielfilmen kennt. Und das TI-Gateway verzichtet ja komplett auf einen physischen Konnektor, dabei handelt es sich um eine rein virtuelle Maschine. Das Interessante aber: Die Software, die auf ihnen läuft, ist in allen Fällen die gleiche. Das war übrigens auch explizit eine der Zulassungsvoraussetzungen der Gematik: Die Betriebssoftware des TI-Gateways musste versionsgleich zu jener der Einbox-Konnektoren sein. Ihrem PVS ist es damit egal, ob es mit dem Konnektor in der Praxis, in einer Konnektorenfarm oder dem virtuellen TI-Gateway „spricht“. Die Antworten sind dieselben.
Viele Hausärztinnen und Hausärzte ziehen mit dem nun nötigen Umstieg in Erwägung, auf ein TI-Gateway umzusteigen. Wie stehen Sie dazu?
Jochen Brüggemann: Ich bin da zugegebenermaßen konservativ eingestellt – aus verschiedenen Gründen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die TI Stand heute nicht stabil läuft. Es gibt immer wieder Ausfälle, die auch Hausärztinnen und Hausärzte in ihren Praxen erheblich treffen. Nun könnte es natürlich sein, dass sich dies durch ein TI-Gateway bessert und die Verbindung stabiler ist – aber auch das Gegenteil kann der Fall sein. Wir haben hier schlichtweg noch keine Erfahrungen in der breiten Masse, die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen. Wir bei RED wollen da keinen Versprechungen des Marktes trauen, sondern nehmen aktuell wirklich handverlesen Praxen und Apotheken auf und machen Stück für Stück unsere Erfahrungen.
Also ganz konkret: Wenn ich Sie heute als Hausärztin anrufe und um Rat frage, weil ich vom nötigen Austausch betroffen bin – dann würden Sie mir eher zur Konnektorfarm als zum TI-Gateway raten?
Jochen Brüggemann: Heute würde ich das, ja. In drei bis sechs Monaten kann das aber schon anders aussehen. Sobald die Erfahrungen aus der breiten Masse vorliegen, würde ich Ihnen grünes Licht geben. Wir geben Ärztinnen und Ärzte, die aktuell zu uns wechseln, dafür eine „Innovationsgarantie“: In dem Moment, in dem wir gemeinsam entscheiden, dass ein Umstieg auf das TI-Gateway jetzt empfehlenswert und passend ist, stellen wir ohne Mehrkosten darauf um.
Ebenfalls immer wieder Thema ist die Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen. Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass Praxen PVS und Konnektor aus einem Hause wählen?
Jochen Brüggemann: Unser Ziel war von Anfang an, nicht nur unsere eigenen PVS-Kunden an die TI anzuschließen, sondern auch Nutzer anderer Hersteller. Das zeigen ja auch die Zahlen: Wir haben rund 3.000 Praxen und Apotheken an die TI angeschlossen, 1.000 nutzen unsere Praxissoftware. Das zeigt deutlich: Rund 2.000 unserer TI-Kunden nutzen andere PVS. Es gibt auf dem gesamten Markt keine einzige Praxissoftware, die wir nicht schon angeschlossen hätten. Unser Support kennt sich mit jeder einzelnen Software aus, das ist wirklich etwas Besonderes. Ohnehin ist der Support aus meiner Sicht viel entscheidender als „alles aus einer Hand“ zu beziehen. Wir messen jeden Monat die Erreichbarkeitsquote beim ersten Anruf. Sie lag in den vergangenen acht Monaten konsequent bei 90 Prozent.
Die Uhr für den Austausch der Komponenten tickt immer lauter. Was ist mit Praxen, die den Umstieg nicht mehr schaffen?
Jochen Brüggemann: Wir haben mit der Geschäftsführung des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes gesprochen und unsere Unterstützung zugesagt. Wir werden zum Jahresbeginn am 2. Januar verstärkt Kapazitäten freihalten für Praxen, die dann kurzfristig Hilfe benötigen. Unser Appell ist aber dringend, sich schon heute mit dem Thema auseinanderzusetzen. Denn wir können zwar Unterstützung zusagen, aber wir haben auch keinen Zaubertrick. Wenn Konnektoren abgeschaltet werden, dann sind sie abgeschaltet. Daran werden auch wir nichts ändern können.
Interessenskonflikte: Jochen Brüggemann ist Gründer und Geschäftsführer der RED Medical Systems GmbH.
