Berlin. Die Neuregelung der Vorhaltepauschale für Hausarztpraxen durch Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband stößt beim Hausärztinnen- und Hausärzteverband auf deutliche Kritik. „Von einer Reform kann keine Rede sein. Hier wurde eine Chance mutwillig vertan“, kommentierten die Co-Bundesvorsitzenden Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier nach Bekanntwerden der Neuregelung am Dienstag (19. August). Der Selbstverwaltung stellen die beiden ein schlechtes Zeugnis aus. Die Politik müsse aus diesem „Schauspiel“ Konsequenzen ziehen.
Im Bewertungsausschuss hatten sich KBV und Kassen am Dienstag (19. August) auf die ab 1. Januar 2026 geltende Neuregelung geeinigt.
Zum Hintergrund: Die Vorhaltepauschale gibt es bereits seit 2013 in Form einer “Zusatzpauschale für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrags” (03040 EBM, Zusatzpauschale zu den EBM-Nrn. 03000 und 03030). Ex-Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) hatte eine Neuregelung ins Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz geschrieben, das der alte Bundestag noch im Januar beschlossen hat. Ziel war explizit, mit der gesetzlich vorgeschriebenen Neuregelung die hausärztliche Grundversorgung zu fördern.
Der Bewertungsausschuss hat nun, diesem gesetzlichen Auftrag folgend, die Voraussetzungen definiert, die Praxen erfüllen müssen, um die Pauschale künftig zu erhalten.
Das gilt ab 2026
Die Grundsystematik der 03040 EBM bleibt bestehen. Hausärztinnen und Hausärzte erhalten sie weiterhin einmal im Behandlungsfall, wenn sie in dem Quartal keine fachärztlichen Leistungen bei einem Patienten durchgeführt und abgerechnet haben.
Die Bewertung wird zum 1. Januar allerdings abgesenkt – von 138 auf 128 Punkte. Zusätzlich hat der Bewertungsausschuss einen Kriterienkatalog definiert (s. Tabelle unten). Je nachdem, wie viele der zehn Kriterien Praxen erfüllen, erhalten sie zusätzlich zur 03040 EBM einen Zuschlag.
Wichtig in der Praxis: Praxen müssen nicht alle zehn Kriterien erfüllen! Auch eine Praxis, die beispielsweise keine Videosprechstunden oder keinen einzigen Heim- / Hausbesuch anbietet, kann noch den “Maximalsatz” erhalten.
- 0 oder nur 1 Kriterium erfüllt: Vorhaltepauschale ohne Zuschlag (128 Punkte – 03040 EBM) und damit etwas weniger Geld als bisher.
- 2 bis 7 Kriterien erfüllt: Vorhaltepauschale plus Zuschlag I (128 Punkte plus 10 Punkte – 03040 EBM plus 03041 EBM) und damit die gleiche Summe wie bisher.
- 8 bis 10 Kriterien erfüllt: Vorhaltepauschale plus Zuschlag II (128 Punkte plus 30 Punkte – 03040 EBM plus 03042 EBM) und damit etwas mehr Geld als bisher.
Die Vergütung erfolgt entbudgetiert in voller Höhe. Laut Hausärztinnen- und Hausärzteverband werden damit über 90 Prozent der Zahlungen wie bisher verteilt. “Auch beim Rest wird es fast keine Verschiebungen geben”, erklären Buhlinger-Göpfarth und Beier. Das Ziel, Leistungsträger der hausärztlichen Versorgung gezielt zu fördern, sei damit vertan worden.
Wichtig in der Praxis: Vorhaltepauschale und Zuschlag werden durch die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung (KV) zugesetzt. Hausärztinnen und Hausärzte müssen sie in der Abrechnung nicht explizit angeben.
Eine Regelung bleibt, ein Abschlag ist neu
Wie bisher gilt, dass die Bewertung der 03040 abhängig von der Praxisgröße ist. Praxen mit mehr als 1.200 Behandlungsfällen je Hausarzt im Quartal erhalten eine etwas höhere Pauschale, bei weniger als 400 Behandlungsfällen je Hausarzt erfolgt ein Abschlag. Daran ändert sich mit der Neuregelung nichts.
Neu ist hingegen ein Abschlag für Hausarztpraxen, die weniger als zehn Schutzimpfungen im Quartal durchführen. Ihre Vorhaltepauschale wird um 40 Prozent gekürzt, da Impfen zur hausärztlichen Grundversorgung gehört.
Wichtig in der Praxis: Die Vorgaben zur Erfüllung eines Kriteriums (z.B. 5 Prozent bei Hausbesuchen) beziehen sich stets auf die Gesamtheit aller Behandlungsfälle in der Praxis. Dabei wird jede abgerechnete Leistung gezählt; beim Kriterium Schutzimpfungen zum Beispiel jede Impfung, auch wenn ein Patient an einem Tag zwei Impfungen erhält! In die Betrachtung werden nur die Behandlungsfälle im KV-System einbezogen, Versicherte in der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) fallen nicht in die Zählung!
Ausnahmen für Schwerpunktpraxen
Für diabetologische Schwerpunktpraxen, HIV-Schwerpunktpraxen und Substitutionspraxen haben KBV und GKV-Spitzenverband zwei Ausnahmeregelungen vereinbart:
- Hausärzte in diesen Praxen erhalten den 10-Punkte-Zuschlag zur Vorhaltepauschale ohne die Erfüllung einer Mindestanzahl von Kriterien. Für den höheren Zuschlag von 30 Punkten müssen sie wie alle anderen Hausärzte mindestens acht Kriterien erfüllen.
- Der 40-prozentige Abschlag, wenn eine Praxis zu wenig impft, droht Schwerpunkt- und Substitutionspraxen nicht.
Als Schwerpunkt- beziehungsweise Substitutionspraxen im Sinne diese Ausnahmeregelungen gelten Praxen, in denen Hausärzte bei mehr als 20 Prozent der Patienten entsprechende spezialisierte Behandlungen durchführen.
Hausärzte: “Mangelnder Wille von KBV und Kassen”
Aus Sicht des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes versäumt die Neuregelung die Chance, gezielt und spürbar die Praxen zu stärken, die wirkliche hausärztliche Versorgung leisten – was ja explizit Ziel des Gesetzgebers war.
Die Neuverteilung der Mittel – und damit auch die Stärkung der Leistungsträger unter den Hausärztinnen und Hausärzten – finde jedoch nur in homöopathischen Dosen statt. „Davon wird kaum eine Praxis etwas spüren.“
“Das liegt an dem mangelnden Willen der KBV und des GKV-Spitzenverbandes, endlich einmal etwas anzupacken und zu verändern. Stattdessen hat man es sich im Status Quo bequem gemacht”, kritisieren die Co-Bundesvorsitzenden scharf. “Aus diesem Schauspiel muss auch die Politik ihre Schlüsse ziehen, denn es ist klar geworden: Wenn die Politik etwas reformieren will, dann kann sie sich auf diese Selbstverwaltung und den Kollektivvertrag nicht verlassen. In Anbetracht der großen Aufgaben, die in dieser Legislatur noch auf uns alle zukommen – Stichwort Primärarztsystem – ist das ein Grund zur Sorge.“
Die KBV selbst hingegen spricht von einer “gangbaren Lösung” angesichts der schlechten gesetzlichen Vorgaben. “Die Regelung musste ausgabenneutral erfolgen, also ohne zusätzliche finanzielle Mittel”, erinnerte KBV-Chef Dr. Gassen in einer Mitteilung. Es sei gelungen, große Umverteilungen zulasten kleinerer Praxen zu verhindern.