Mit ihrem Amtsantritt hat die neue Regierung auch Pläne für die ambulante Versorgung – und ganz konkret Hausärztinnen und Hausärzte und ihre Praxisabläufe – im Gepäck. Das wird bei einem Blick in den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD deutlich. Acht der 144 Seiten widmen sich Gesundheit und Pflege [1], und auch wenn Hausärztinnen und Hausärzte nur an zwei Stellen explizit erwähnt sind, finden sich für sie wichtige Weichenstellungen.
Anfang April hatten sich die Koalitionäre auf ihr gemeinsames Aufgabenheft geeinigt. Zwei Wochen lang konnten daraufhin die rund 358.000 SPD-Mitglieder online ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag geben. Beim Mitgliederentscheid stimmten rund 85 Prozent zu, die Beteiligung lag bei 56 Prozent, gab die Partei Ende April bekannt.
Nur wenige Tage zuvor hatten rund 160 Delegierte der CDU auf einem sogenannten Kleinen Parteitag dem Vertrag zugestimmt, die Gremien der CSU hatten bereits Mitte April als erstes grünes Licht gegeben. Einer Mitte April veröffentlichten Mitgliederumfrage der Berliner CDU zufolge erhält der schwarz-rote Koalitionsvertrag von der Basis die durchschnittliche Note 3. [2]
Doch wie ist der Vertrag aus hausärztlicher Sicht zu bewerten? Die praxisrelevantesten Vorhaben der neuen Regierung im Überblick:
Verbindliches Primärarztsystem
Um eine zielgerichtete Versorgung zu erreichen, setzen Union und SPD auf “ein verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte in der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) und im Kollektivvertrag”.
Ausnahmen sollen nur bei der Augenheilkunde und Gynäkologie gelten. Für Menschen mit einer spezifischen schweren chronischen Erkrankung werden “geeignete Lösungen” erarbeitet. Beispielhaft sind hier Jahresüberweisungen oder Fachinternisten als Primärarzte im Einzelfall genannt. [1, Zeilen 3387-3390]
Konkret stellen sich die Koalitionäre das wie folgt vor: Versicherte entscheiden sich für die primärärztliche Steuerung im Kollektivvertrag oder indem sie sich in der HZV bei einer Hausärztin oder Hausarzt ihrer Wahl einschreiben. Für einen Facharzttermin stellt der Primärarzt den medizinischen Bedarf fest und legt einen notwendigen Zeitkorridor fest. Auch eine Vermittlung über die 116117 ist grundsätzlich möglich.
Dann sprechen die Koalitionäre von einer “Termingarantie”: Die KVen sollen verpflichtet werden, die Facharzttermine im bestimmten Zeitkorridor zu vermitteln. Gelingt dies nicht, sollen die Betroffenen ambulant in der Klinik behandelt werden.
Jahrespauschalen im EBM
Mit dem Honorarsystem thematisiert der Koalitionsvertrag ein weiteres zentrales Element. Übergeordnetes Ziel ist, die Anzahl der unnötigen Arztkontakte zu reduzieren. Genannt werden konkret Jahrespauschalen. “Durch Flexibilisierung des Quartalsbezugs ermöglichen wir neuen Patienten einen besseren Zugang und die Vergütung von Praxis-Patienten-Kontakten.” [1, Zeilen 3397-3400]. Genauere Aussagen zur Ausgestaltung finden sich nicht.
Die Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ neu) findet sich im Koalitionsvertrag nicht.
Sozialversicherungspflicht
“Wir schaffen eine gesetzliche Regelung, die die Sozialversicherungsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten im Bereitschaftsdienst der Krankenversicherung ermöglicht”, heißt es im Koalitionsvertrag. Zudem sind Gesetze zur Notfall- und Rettungsdienstreform angekündigt, allerdings ohne weitere Details. [1, Zeilen 3412-3414]
Stärkung der Praxisteams
Die Gesundheitsberufe sollen aufgewertet werden. “Wir stärken die Kompetenzen der Gesundheitsberufe in der Praxis”, nehmen sich die Koalitionäre vor. [1, Zeilen 3400-3401] Außerdem ganz allgemein: “Wir erhöhen die Wertschätzung und Attraktivität der Gesundheitsberufe.” [1, Zeile 3591]
Auch sind die Gesundheitsberufe im Kapitel Recht des Vertrages genannt: Demnach soll der strafrechtliche Schutz von Einsatz- und Rettungskräften, Polizisten sowie Angehörigen der Gesundheitsberufe verstärkt werden. [1, Zeilen 2862-2864]
Grenzen für iMVZ
Für investorenbetriebene MVZ (iMVZ) sollen strengere Regeln kommen: “Wir erlassen ein (…) iMVZ-Regulierungsgesetz, das Transparenz über die Eigentümerstruktur sowie die systemgerechte Verwendung der Beitragsmittel sicherstellt.” [1, Zeilen 3394-3396] Profitorientierte iMVZ sind sowohl Politik als auch Ärzten seit Jahren ein Dorn im Auge. Unter anderem Deutscher Hausärztinnen – und Hausärztetag und Deutscher Ärztetag hatten entsprechende Beschlüsse formuliert.
Aus- und Weiterbildung
Künftig soll ein/e Weiterbilder/in in seiner Praxis statt einem zwei Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung(AiW) ausbilden dürfen. [1, Zeilen 3401-3402]
Die Reform der Ärztlichen Approbationsordnung wird nicht konkret erwähnt. Es heißt lediglich: “Wir tragen die Ziele des Masterplans Medizinstudium weiter.” [1, Zeile 2480] Voraussetzung sei allerdings eine Verständigung über Ausgestaltung und Finanzierung in einer Bund-Länder-Kommission.
Der Masterplan Medizinstudium – in seiner Ursprungsfassung “Masterplan Medizinstudium 2020” – wird seit Jahren mit Blick auf Finanzierungsfragen blockiert, was der Hausärztinnen- und Hausärzteverband wiederholt kritisiert hatte.
Die Vergütungsstruktur im Praktischen Jahr (PJ) will die GroKo modernisieren, sie soll mindestens dem BAföG-Satz entsprechen.
Bürokratieabbau und Regresse
Im Koalitionsvertrag betonen Union und SPD deutlich, dass sie Bürokratie abbauen wollen. “Wir verringern Dokumentationspflichten und Kontrolldichten durch ein Bürokratieentlastungsgesetz im Gesundheitswesen massiv, etablieren eine Vertrauenskultur und stärken die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Professionen, statt sie mit Bürokratie aus Gesetzgebung und Selbstverwaltung zu lähmen”, heißt es. [1, Zeilen 3492-3502] Alle Gesundheits-Gesetze sollen künftig einem “Praxis-Check” unterzogen werden.
Genannt ist eine Bagatellgrenze von 300 Euro bei der Regressprüfung. Kassen werden verpflichtet, “vollständig gemeinsame Vertrags- und Verwaltungsprozesse zu entwickeln”. [1, Zeilen 3503-3511]
Digitalisierung
Die elektronische Patientenakte (ePA) soll – wie bereits bekannt – stufenweise ausgerollt werden. Darüber hinaus sollen Rahmenbedingungen und Honorierung für Videosprechstunden, Telemonitoring und Telepharmazie verbessert werden. Und: Alle Anbieter von Software- und IT-Lösungen im Gesundheitswesen sollen bis 2027 einen unkomplizierten, digitalen Datenaustausch auf Basis einheitlicher Standards sicherstellen. [1, Zeilen 3520-3529]
Fazit
- Nach vier Wochen Verhandlungen haben Union und SPD sich im April auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Seit Anfang Mai führt Friedrich Merz (CDU) die Regierung als neuer Kanzler.
- Das Gesundheits-Kapitel umfasst acht der insgesamt 144 Seiten des Vertrages, einige kleinere praxisrelevante Vorhaben finden sich auch in anderen Kapiteln.
- Für Hausärztinnen und Hausärzte enthält der Koalitionsvertrag durchaus relevante Vorhaben. Am bedeutendsten ist der Plan eines verpflichtenden Primärarztsystems, das die hausärztliche Rolle im Gesundheitssystem bedeutend stärken wird. Dabei baut die neue Bundesregierung auch explizit auf die HZV.
- Viele Vorhaben sind naturgemäß noch nicht detailliert ausgestaltet. Es wird also in hohem Maße um eine praxistaugliche Umsetzung gehen. Wann und wie die Vorhaben realisiert werden, ist noch völlig unklar. Und: Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrages stehen unter Finanzierungsvorbehalt.