© privatJana Sauer, stellvertretende Chefredakteurin "Der Hausarzt"
Unterdessen zeigt sich: Immer öfter wird – wenn auch vorsichtig – die Frage unter Delegierten und Präsidium laut, wie der Deutsche Ärztetag in Zukunft arbeiten will. Diese Frage ist gerechtfertigt, ohne die Bedeutung und Ernsthaftigkeit des ärztlichen Parlament zu untergraben. Erstmals wurde in diesem Jahr mit einem neuen Format zum Einstieg in ein Thema sowie der Online-Abstimmung experimentiert. Dass bei solchen Versuchen nicht immer alles reibungslos läuft und möglicherweise mehrere Anläufe und ein wenig Nachjustieren benötigt werden, sollte jedem klar sein.
Anstoß für diese Gedanken ist wohl auch eine Prise Unzufriedenheit, die nach einem Abstimmungsmarathon bei vielen Delegierten bleibt – auch in diesem Jahr. Mehr als 200 Anträge durchzupeitschen, ist anstrengend und bleibt oft an der Oberfläche. Bereits Prof. Frank Ulrich Montgomery hatte diese “Antragsflut” zum Ende seiner Amtszeit kritisch angemerkt.
Passend dazu haben die Delegierten in diesem Jahr eine Reihe von Hausaufgaben an den Vorstand formuliert: ein Nachjustieren am Online-Abstimmungstool, eine Optimierung sowie Hinterfragen des Abstimmungsprozederes. Denn “nicht die Anzahl der Anträge, sondern ihre Inhalte tragen maßgeblich [zur Bedeutung der Beschlüsse des Ärztetages] bei”, heißt es in der Begründung eines entsprechenden Antrags, unter anderem unterzeichnet von Charlotte Renneberg.
Auch der Deutsche Hausärzteverband sieht die Notwendigkeit einer Reform des Deutschen Ärztetages. “Es braucht eine deutlich fokussiertere Auseinandersetzung mit den drängenden Themen – auch, um sicherzustellen, dass klare Botschaften in Richtung Politik und Öffentlichkeit gesendet werden”, forderte am Donnerstag (18. Mai) erste stellvertretende Bundesvorsitzende Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth. Das sei aus hausärztlicher Sicht eine der Aufgaben, die die Bundesärztekammer in den kommenden Jahren angehen müsse.
Familie, Beruf und Berufspolitik vereinen
Völlig abseits der Beschlusslandschaft hat sich mit Blick auf die Frage „Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?“ in der Messehalle übrigens ganz unbemerkt Bedeutendes getan: Als 2016 erstmals Hausärztin Dr. Katharina Thiede mit Baby in der Trage am Rednerpult erschien, erntete sie dafür donnernden Applaus.
Heute ist ein Baby im Sitzungssaal kaum ein Hingucker mehr. Mehr als eine Handvoll Kinder waren in Essen zu sehen – angesichts der Zahl von 250 Delegierten sicherlich noch ausbaufähig, aber eben doch ein nicht zu unterschätzendes Zeichen. Denn nicht nur die hausärztliche Versorgung, auch die Berufspolitik ist auf engagierten Nachwuchs angewiesen. Das zeigt nicht zuletzt der offene Empfang der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd).
Hier ein Baby in der Trage, dort im Kinderwagen, zwischendurch wird eine Krabbeldecke unter dem Abgeordnetentisch ausgebreitet. Ein älteres Kind im Grundschulalter darf sogar auf dem iPad der Mutter spielen – hoffentlich nicht während der Online-Abstimmung. Wieder andere treffen die Kinder in den langen Pausen rund um die Auszählungen vor der Tür, weil die Familie mitgereist ist – andere sind das erste Mal allein unterwegs.
Alle jungen Mütter – und auch Väter – im Saal zeigen: Mit ein wenig Mut und Kreativität lassen sich nicht nur Familie und Beruf, sondern auch Familie und Berufspolitik vereinen. Auch das ist ein deutliches Zeichen für die Zukunft des Deutschen Ärztetages.
*Interessenskonflikt: Die Autorin ist selbst Mutter eines 19-monatigen Sohnes und war mit Familie nach Essen gereist 😉