© DEGAM / Antje BoysenDr. Wolfgang Schneider-Rathert
Ob mit der aktuellen Empfehlung Meningokokken-Erkrankungen verhindert werden können, ist aber unklar: “Eine MenACWY-Impfung könnte einen hohen Schutz gegen ACWY-IME bieten, die Evidenz ist jedoch sehr unsicher”, schreibt die STIKO [1]. Und ob schwere Verläufe durch die Impfung verhindert werden, ist sogar völlig offen: “Der Endpunkt wurde in keiner der identifizierten Studien berichtet” [1].
Woran liegt das? IME sind glücklicherweise sehr, sehr selten. Jährlich erkranken hierzulande rund 300 Menschen, circa jeder 10. stirbt [1]. Erkrankungen mit den von der Empfehlung abgedeckten Serotypen ACWY traten 2023 und 2024 bei 10–29-Jährigen jeweils rund 30 Mal auf, leider mit je 4 Todesfällen [1]. Aber: In einer Bevölkerungskohorte von geschätzt 15 Millionen Menschen. Studien müssten also viele Millionen Teilnehmer über Jahre untersuchen, um signifikante Effekte auf schwere Verläufe und Tod zeigen zu können.
In diesem Spannungsfeld hat sich die STIKO für das Prinzip Hoffnung entschieden – mit immensen Folgekosten. Dringend benötigtes Geld, das an anderer Stelle fehlt. Eine Berechnung der STIKO ergab, dass man 51.000 Impfungen benötigt, um eine Erkrankung (nicht Tod!) zu verhindern [1]. Das wären rund dreieinhalb Millionen Euro (bei 70€ Kosten der Impfung inkl. Arzthonorare).
Zum Vergleich: Eine verhinderte Masernerkrankung kostet unter 150€. Es ist dringend nötig, dass die STIKO endlich beauftragt wird, auch gesundheitsökonomisch-ethische Überlegungen in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen. Andere Länder priorisieren daher anders: In Dänemark, Norwegen, Schweden und sechs weiteren europäischen Ländern gibt es überhaupt keine Empfehlung, gegen Meningokokken zu impfen! [3].
2. Impfung gegen Herpes zoster
Die STIKO rät jetzt bei Menschen mit Risikofaktoren bereits ab 18 Jahren zur Impfung mit dem Herpes-zoster (HZ)-Totimpfstoff (Shingrix®, zugelassen ab 18 Jahren) [4]: Für Immunsupprimierte, Personen mit Autoimmunerkrankungen sowie Personen mit schweren Ausprägungen von spezifischen chronischen Grunderkrankungen bestehe unabhängig vom Alter ein erhöhtes Risiko, an HZ zu erkranken.
Im Einzelnen nennt die STIKO Personen mit bzw. nach: hämatopoetischer Stammzelltransplantation, zellbasierten Therapien, solider Organtransplantation, immunsuppressiver Medikation, malignen neoplastischen Krankheiten, HIV-Infektion, rheumatoider Arthritis, SLE, CED, COPD oder Asthma, chronischer Niereninsuffizienz und Diabetes. Die STIKO betont, dass die neuen Indikationsgruppen je nach zugrundeliegender Erkrankung ein unterschiedlich hohes HZ-Risiko haben: “Am höchsten ist das Risiko bei Immundefizienz sowie bei bestimmten Autoimmunerkrankungen (z. B. SLE) oder deren Therapien (z.B. Rituximab).”
Aber auch bei Personen mit schweren chronischen Grunderkrankungen sei das Risiko erhöht. Besonders profitierten Menschen mit schlecht kontrollierter Grunderkrankung und multimorbide Personen. Cave: Ausgenommen seien leichte oder unkomplizierte bzw. medikamentös gut kontrollierte chronische Erkrankungen bei Personen zwischen 18 und 59 Jahren.
Begründung: Die (oben genannten) Personen haben ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe, HZ-Rezidive und Folgeerkrankungen wie post-herpetische Neuralgie, so die STIKO. Durch die Indikationserweiterung könne die Häufigkeit dieser Komplikationen reduziert werden.
Einschätzung der DEGAM: “Wir halten die Anpassung der Impfempfehlung für medizinisch sinnvoll und praxistauglich – sie ermöglicht eine gezieltere Prävention bei vulnerablen Patientengruppen”, so die DEGAM gegenüber Hausärztliche Praxis. Der organisatorische Aufwand in der Praxis steige aber zunächst: “Wir müssen künftige Risikopatienten strukturiert identifizieren und sie über die Impfung aufklären. Hierfür können z.B. Routine- oder Check-Up-Termine genutzt werden.”
Die Patienten sollten über Nutzen (Verhinderung von Gürtelrose und ihre schmerzhaften Komplikationen) und mögliche Reaktionen (Lokalreaktionen, Fieber, Myalgien) informiert werden, um eine Impfentscheidung treffen zu können [5]. Bei Patienten mit komplexen Immunsuppressionen bzw. onkologischer Vorgeschichte sei gegebenenfalls Rücksprache mit spezialisierten Gebietsärzten sinnvoll, auf eine reibungslose Schnittstellenkommunikation sollte geachtet werden [6].
“Für die Hausarztpraxis heißt das: Einen strukturierten Impf- und Kommunikationsprozess etablieren, Patienten-Unterlagen anpassen und digitalisierte Impferinnerungs-Systeme nutzen, um keine Risikopatienten zu übersehen [7]. Mit gut organisiertem Praxisablauf lässt sich die Umsetzung effizient gestalten – und wir leisten einen wertvollen Beitrag zur Vermeidung von Gürtelrose und deren oft schweren Folgen. Gleichzeitig bleibt es entscheidend, die Indikationskriterien sorgfältig abzugleichen und die Patienten individuell zu beraten.”
Das sagt der Experte
von Dr. Wolfgang Schneider-Rathert
Die STIKO empfiehlt die HZ-Impfung Menschen zwischen 18 und 59 Jahren mit angeborener, erworbener oder iatrogener Immundefizienz und/oder mit schwerer Ausprägung einer chronischen Grunderkrankung (also z.B. Dialyse, nicht aber grenzwertig erniedrigter GFR).
Zur Wirksamkeit der Impfung gibt es dabei nur für die besonders gefährdeten Stammzelltransplantierten und Menschen mit bösartigen hämatologischen Erkrankungen Daten. Während Stammzelltransplantierte verglichen mit der Gesamtbevölkerung ein rund 4-fach erhöhtes Risiko aufweisen, an HZ zu erkranken (rund 1:27 statt 1:100 erkrankt jedes Jahr!), ist die Wirksamkeit der Impfung ausgerechnet für diese Gruppe leider deutlich erniedrigt: gemittelt 90 Prozent Wirksamkeit in der Gesamtbevölkerung über einen Zeitraum von 10 Jahren, stehen 68 Prozent Wirksamkeit und auch nur über den wesentlich kürzeren Zeitraum von 21 Monaten gegenüber.
Bei hämatologischen Krebserkrankungen ist die Impfeffektivität initial immerhin fast 90 Prozent – aber bislang nur bis zu knapp einem Jahr nach Impfung belegt [4].
Und: “Leichte oder unkomplizierte bzw. medikamentös gut kontrollierte Formen chronischer Erkrankungen”, die “nicht mit einem deutlich erhöhten HZ-Risiko verknüpft” sind, so stellt die STIKO klar, sind “nicht von der Empfehlung umfasst” (ich verstehe darunter Typ-2-Diabetiker mit HbA1c im Zielbereich, gut eingestellte Asthmatiker, einfache Hypertoniepatienten oder Schilddrüsen-Erkrankte…).
In unseren Praxen wird es also einerseits um die Beruhigung Vieler und die Identifizierung der deutlich kleineren Gruppe der zu Impfenden andererseits gehen. Dabei gilt: Umso stärker die Immunsuppression, umso mehr Erkrankungen vorliegen und umso älter die Person ist, desto besser ist die Risiko-Nutzen-Bilanz der Impfung.
Unverändert ist dabei, über das sehr seltene, aber sehr relevante Risiko eines impfassoziiierten Guillain-Barré-Syndroms aufzuklären (3-6 Fälle pro 1 Mio. verabreichter Impfstoffdosen [4]). Angesichts des mittlerweile beträchtlich erhöhten Preises von deutlich über 500 Euro je Grundimmunisierung ist die von der STIKO vorgenommene Priorisierung auf bestimmte Risikopersonen auch ethisch geboten. In Zeiten klammer (Kranken-)Kassen muss mit dem Geld der Versicherten besonders sorgsam umgegangen werden.
Hinweis: Herr Dr. Schneider-Rathert ist Mitglied der Sektion Prävention der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM). Seine Kommentare geben seine persönliche Einschätzung wieder. Diese persönliche Einschätzung entsteht im ständigen Austausch mit den hausärztlichen STIKO-Mitgliedern und der Sektion.
Mögliche Interessenskonflikte: Keine in Bezug zum Thema Impfen; Mitglied bei MEZIS, Programmierer des CGM Medistar Abrechnungs-Coach
Quellen:
1. Epid Bull 44/25
2. Press Briefing des Science Media Centers am 28.10.25
3. Impfkalender der europäischen Länder (ECDC): www.hausarzt.link/itedT
4. Epid Bull 45/25
5. doi 10.1016/j.vaccine.2020.12.014
6. doi 10.1016/j.zefq.2017.09.011
7. doi 10.3238/arztebl.2019.0645