© Christoph AtesDipl.-Psych. Susanne Baulig, Leiterin des Schwerpunkts Psychodiabetologie an der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz
Wir betreuen aktuell Menschen mit Diabetes aller Altersstufen zwischen 18 und 83 Jahren – davon sind übrigens doppelt so viele von Typ-1- als von Typ-2-Diabetes betroffen. Am häufigsten begegnen uns dabei Depressionen, gefolgt von Essstörungen, die meistens in Form von unkontrollierten Essattacken auftreten, dem sogenannten Binge-Eating.
An dritter Stelle kommen Angststörungen im Hinblick auf Hypoglykämien und dann Akzeptanzprobleme, die dazu führen, dass Patienten ihren Diabetes am liebsten verleugnen möchten oder es nicht schaffen, sich gut um ihn zu kümmern.
Warum sind überdurchschnittlich viele Menschen mit Diabetes von psychischen Problemen betroffen?
Es gibt mehrere Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Bereits die Diagnose und das damit verbundene Wissen, dass man unter einer chronischen Erkrankung leidet und seinen Lebensstil ändern muss, kann ungemein belastend sein. Dazu kommt, dass Diabetes niemals Pause macht und die Therapie viel Eigenverantwortung und Selbstkontrolle im Alltag erfordert, was sich ebenfalls auf die Psyche auswirken kann.
Ein weiterer Aspekt sind Ängste vor möglichen Folgeerkrankungen und akute Krisensituationen wie Hypoglykämien. Außerdem erlebe ich öfter, dass Patienten unter Schuld und Schamgefühlen leiden – verstärkt durch eine Stigmatisierung von Diabetes, die es leider noch immer gibt.
Warum ist Früherkennung hier so wichtig?
Andersherum gesagt: Je später psychische Probleme erkannt und behandelt werden, desto größer ist das Risiko, dass sie chronisch und stärker werden. Eine Früherkennung ermöglicht nicht nur bessere Therapiechancen, sondern sorgt auch dafür, dass Betroffene nicht so lange und weniger leiden müssen.
Wenn man mit seiner Psyche zu kämpfen hat, wirkt sich das häufig auch negativ auf das Diabetesmanagement aus, weil die Motivation leidet und man buchstäblich andere Dinge im Kopf hat. Deshalb ist es so wichtig, dass Hausärztinnen und Hausärzte bei Menschen mit Diabetes immer auch aktiv nach der seelischen Gesundheit fragen.
Wie können Menschen mit Diabetes ihre mentale Gesundheit stärken?
Diabetes ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Darum ist es entscheidend, dauerhaft eine gute Balance zwischen dem Diabetesmanagement (dem, was man tun muss) und positiven Aktivitäten (dem, was einem gut tut) zu finden. Das können bewusste Auszeiten zum Entspannen, Spaziergänge, sportliche Aktivitäten oder auch gemeinsames Kochen sein.
Dazu ist der Austausch mit anderen Betroffenen oft sehr wertvoll, da man sich besser verstanden und nicht so alleine fühlt. Außerdem kann man sich gegenseitig motivieren und mit Tipps unterstützen. Aber auch moderne Diabetes-Lösungen können dabei helfen, die mentale Gesundheit zu stärken.
Ich erlebe häufig, dass der Einsatz von Insulinpumpen, CGM-Systemen oder einer Diabetesmanagement-App den Stress und die Belastung reduzieren kann. Hier sollte man allerdings immer im Blick behalten, die Technik in einem gesunden Maß einzusetzen, um kein zwanghaftes Verhalten zu entwickeln.