Vor gut zwei Jahrzehnten sind in Deutschland Disease-Management-Programme eingeführt worden. Vor allem für die Hausarztmedizin bedeutete dies weitreichende Veränderungen. Eine Bilanz aus Sicht der Hausärztinnen und Hausärzte.
DMP spielen für viele Hausärztinnen und Hausärzte eine unverzichtbare Rolle im Versorgungsalltag.
Als im Jahr 2003 die Disease-Management-Programme (DMP) eingerichtet wurden, geschah dies in dem Bestreben, die Diagnostik, Therapie und Prävention chronisch kranker Patientinnen und Patienten durch eine stärkere Orientierung an aktuellem medizinischem Wissen und evidenzbasierten Leitlinien sowie eine bessere Strukturierung von Behandlungsabläufen zu verbessern [1-6].
Auch sollten DMP zu einer effektiveren Verzahnung einzelner Akteure in der Versorgungskette beitragen (Haus- und Gebietsfachärzte, Kliniken, Reha-Einrichtungen), etwa durch verordnungsrechtliche Aufgaben- bzw. Therapiebeschreibungen und festgelegte Untersuchungsintervalle [7].
Dreh- und Angelpunkt ist eine regelmäßige Betreuung von eingeschriebenen Patientinnen und Patienten, eine Qualifikation von Ärztinnen und Ärzten mittels Pflichtfortbildungen sowie eine konsequente Dokumentation aller Untersuchungs- und Behandlungsergebnisse [4, 8, 9]. Gezielte Patientenschulungen sollen das Empowerment stärken [10].
In Summe sollen DMP so helfen, Über-, Unter- und Fehlversorgung abzubauen, Versorgungsprozesse passgenauer zu gestalten und Folgeerkrankungen zu reduzieren.
Inzwischen sind deutlich über acht Millionen Versicherte in die Programme eingeschrieben, davon 1,2 Millionen als Teilnehmende mehrerer DMP [4].
Wie wirksam sind DMP?
Inwiefern konnten DMP ihren Anspruch, zu einer Optimierung der Versorgung beizutragen, einlösen? Bisher mangelt es für den deutschen Versorgungszusammenhang an einer größeren Zahl aussagekräftiger Wirksamkeitsstudien, die Einflüsse und Effekte der DMP konkret belegen. Zudem ist auf Basis der gesetzlich geregelten Dokumentationen eine Wirksamkeitskontrolle nicht ohne weiteres möglich, da etwa eine Kontrollgruppe fehlt und sich Störgrößen oft nicht ausschalten lassen [11, 12].
Die bis dato vorliegenden Arbeiten zeigen indes positive Ergebnisse, besonders mit Blick auf das DMP Diabetes mellitus Typ 2, wo sich vermehrt günstige Outcomes bei Mortalität und Prozessparametern belegen ließen [8, 13-19]. Auch konnte eine explorative Wirksamkeitsuntersuchung für das DMP KHK förderliche Nutzungspotenziale hinsichtlich Mortalität, Kostenentwicklung und leitlinienbasierter Medikation aufzeigen [20].
Für die DMP Asthma bronchiale und COPD zeigen die hierzulande erfolgten Studien weniger eindeutige Vorteile [21]. Blickt man in andere europäische Länder, konnten nützliche Effekte vergleichbarer Programme im Rahmen klinisch randomisierter Studien bereits deutlich öfter belegt werden [22-24].
Demnach wurden in strukturierte Versorgungsprogramme eingeschriebene Patientinnen und Patienten seltener hospitalisiert; Folge- und Begleiterkrankungen fielen günstiger aus als in der jeweiligen Vergleichsgruppe.
Abseits von klinischen Mehrwerten sollen DMP auch zu einer besseren Information und Aufklärung über Krankheitsbilder beitragen und Therapieadhärenz und Compliance unterstützen [6, 14]. Tatsächlich konnten Studien einzelner Krankenkassen bereits einen solchen Benefit herausarbeiten.
So ergab die ELSID-Studie, dass sich Patientinnen und Patienten, die in DMP eingeschrieben sind, besser versorgt fühlen und zufriedener mit ihrer Versorgung sind. Die Sterblichkeit fiel gegenüber der Kontrollgruppe rund drei Prozent geringer aus [25].
Außerdem ist seit Einführung der DMP der Anteil an Schwerpunktpraxen spürbar gestiegen, was zu einer verbesserten Breitenversorgung der Patientinnen und Patienten beiträgt [17, 26]. Ferner wird durch ein erhöhtes Versorgungsangebot eine Verbesserung der Diagnostik und Therapie erreicht, welches ein Kernziel zum Zeitpunkt der DMP-Einführung war.
Sind DMP kosteneffizient?
In Bezug auf die Kosteneffizienz von DMP gehen die Schlussfolgerungen auseinander. So konnte in Repräsentativstudien für die Diabetes-bezogenen DMP ein Einsparpotenzial von 120 Millionen Euro jährlich nachgewiesen werden, allerdings bei 260 Millionen Euro jährlicher Kosten [27].
Andere Studien urteilen positiver und sehen leichte Kosteneinsparungen, wenn man nicht nur direkte Kosten, sondern auch die positiven Folgen einer erhöhten Therapieadhärenz gesamtwirtschaftlich einrechnet [28].
Die Frage der ökonomischen Entlastung des Gesundheitssystems lässt sich allerdings nicht eindeutig beantworten, da sich die Förderbedingungen der Krankenkassen für DMP seit 2009 stark verändert haben. Seitdem werden die Programme nicht mehr bei den durchschnittlichen Leistungsausgaben im Risikostrukturausgleich (RSA) berücksichtigt, sondern es erfolgt ein Ausgleich nach Morbiditätsgruppen.
Wie stehen Hausärzte zu DMP?
Die ambulante Versorgung von chronisch Kranken wird vor allem durch Hausärztinnen und Hausärzte gesichert, die durch die Rekrutierung der Patientinnen und Patienten für DMP eine entscheidende und zentrale Rolle für den Erfolg der strukturierten Programme spielen [7, 29, 30]. Die Frage des Nutzens von DMP ist somit eng assoziiert mit der besonderen Hausarzt-Patienten-Beziehung.
Trotz der bedeutsamen Rolle, die die hausärztliche Versorgung im DMP-Kontext spielt, haben empirische Studien ihr nur sporadisch Aufmerksamkeit gewidmet. Vor allem zu Fragen der Akzeptanz, Zufriedenheit und damit verbundenen Einstellungs- und Erfahrungswerten hinsichtlich DMP im Versorgungsalltag gibt es nur wenige aussagekräftige und aktuelle Befunde.
Innerhalb der Hausärzteschaft gab es seit Einführung der DMP eine kontroverse Diskussion über Sinn und Nutzen der strukturierten Behandlungsprogramme [31-34]. Auch die ELSID-Studie aus 2011 zeigte, dass eine Mehrheit der befragten Hausärztinnen und Hausärzte DMP negativ oder zumindest ambivalent sehen.
Zwar wurden durchaus gewinnbringende Potenziale wahrgenommen, vor allem mit Blick auf eine kontinuierliche, konsequente und evidenznahe Patientenbetreuung und eine Verbesserung des ärztlichen Kenntnisstands bei Diagnose und Therapie aufgrund von Pflichtfortbildungen. Wobei die Pflichtfortbildungen bei der zunehmenden Zahl der DMP dazu führen können, dass die nötige Breite in der hausärztlichen Fortbildung verloren gehen kann, kritisiert zum Beispiel der Hausärztinnen- und Hausärzteverband.
Eine Mehrheit der in ELSID Befragten vertrat hinsichtlich DMP eher ablehnende Positionen und begründete dies unter anderem mit als zu restriktiv erlebten Eingriffen in die hausärztliche Therapiefreiheit, einer Beeinträchtigung von Praxisroutinen [25] und bürokratischen Belastungen im Zusammenhang mit der Dokumentationspflicht [6, 26]. Ebenso bemängelten Befragte, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht für die Kooperation der Versorgungsebenen im Rahmen von DMP ausreiche [33].
Mehr Wertschätzung für DMP
Inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass die strukturierten Behandlungsprogramme deutlich besser in der hausärztlichen Versorgungsrealität verankert wurden und sich das Einstellungs- und Erfahrungsbild von Hausärztinnen und Hausärzten in Bezug auf DMP zum Positiven gewandelt hat. Im Zuge einer Befragung von insgesamt 1.504 Hausärztinnen und Hausärzten in Rheinland-Pfalz, Hessen und im Saarland haben wir erhoben, wie sie diese bilanzieren und wo sie Verbesserungsbedarfe ausmachen.
Wie die Ergebnisse zeigen, beurteilen 58 Prozent der Befragten DMP positiv und erachten sie als nützlichen Beitrag zur hausärztlichen Versorgung. Bei 37 Prozent der Befragten hat sich die grundlegende Einstellung zu DMP in den letzten Jahren verbessert, bei 46 Prozent ist sie gleich geblieben, 17 Prozent geben eine Verschlechterung an.
Weiterlesen
Editorial HA 06/24
HZV im Mittelpunkt
Bayerischer Hausärzteverband
Bayerischer Hausärztetag am 12./13. Mai in München
Hausarztzentrierte Versorgung
Gemeinsam stark im Verbund
Hausärztinnen und Hausärzte, die an der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) teilnehmen, kennen sowohl die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft…
"Jeder Fehler zählt"
Anamnese schützt vor Überversorgung
Serie E-PA
E-PA: Pflichten, aber auch Chancen für Hausarztpraxen
Für Hausärztinnen und Hausärzte, Praxismitarbeitende und ÄiW (Allgemeinmedizin und Innere Medizin mit hausärztlichem Schwerpunkt) ist der Zugang immer kostenfrei.
Mitglieder der Landesverbände im Hausärztinnen- und Hausärzteverband profitieren außerdem von zahlreichen Extras.