Viele Menschen nehmen ihre Medikamente nicht regelmäßig ein. Cochrane hat untersucht, ob Mobile-Health-Interventionen die Adhärenz in der Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen steigern können.
Mobile-Health-Interventionen (mHealth) können große Patientenzahlen ohne zusätzlichen Personalaufwand betreuen.
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die führende Todesursache in Industrienationen. Die medikamentöse Primärprävention mit Antihypertensiva, Cholesterinsenkern und Thrombozytenaggregationshemmern senkt das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse nachweislich.
Trotz dieser therapeutischen Erfolge klafft in der Versorgungsrealität eine Lücke zwischen evidenzbasierter Therapieempfehlung und tatsächlicher Umsetzung. Zudem sind Leitlinien der hausärztlichen Fachgesellschaft und manche teilgebietsärztliche Aussagen und Statements nicht immer deckungsgleich.
Viele Patientinnen und Patienten nehmen ihre verordneten Medikamente nicht regelmäßig oder dauerhaft ein, wodurch das volle Präventionspotenzial ungenutzt bleibt. Die Konsequenzen dieser Adhärenzproblematik sind nicht nur das individuelle Leid, sondern auch erhebliche Kosten für die Gesundheitssysteme.
Vor diesem Hintergrund gewinnen innovative Ansätze zur Verbesserung der Medikamentenadhärenz zunehmend an Bedeutung. Mobile-Health-Interventionen (mHealth) können große Patientenzahlen ohne zusätzlichen Personalaufwand betreuen. Sie versprechen eine kostengünstige, breit verfügbare und hochgradig skalierbare Lösung für dieses vielschichtige Problem.
Diese digitalen Unterstützungsmaßnahmen umfassen ein breites Spektrum von Interventionen: von einfachen automatisierten SMS-Erinnerungen über Interactive-Voice-Response-Systeme (IVR) bis hin zu komplexen App-gestützten Coaching-Programmen mit personalisierten Feedback-Mechanismen. Die langfristige Wirksamkeit auf klinische Endpunkte ist jedoch noch nicht ausreichend belegt.
Fazit für die Hausarztpraxis
Mobile-Health-Interventionen haben sich als bewährter Ansatz erwiesen, der die Medikamentenadhärenz nachweislich steigert. Bereits einfache SMS-Erinnerungen erzielen messbare Effekte und lassen sich mit überschaubarem Aufwand in den Praxisalltag integrieren. In Deutschland steht der Implementierung solcher Erinnerungssysteme (zum Beispiel auch in der Impfmedizin) nicht selten ein strenger Datenschutzgedanke entgegen.
Die systematische Einbindung in Routineprozesse – von der Erstverordnung bis zur kontinuierlichen Betreuung – erweist sich als entscheidender Erfolgsfaktor. Dabei sind individualisierte Ansätze wichtig: Patientinnen und Patienten sollten bei Verordnung digital angemeldet und die Erinnerungsfrequenz gemeinsam abgestimmt werden, um “Digital Fatigue” zu vermeiden.
Trotz vielversprechender Ansätze bleibt eine bedeutsame Evidenzlücke bestehen. Methodisch hochwertige Langzeitstudien müssen den tatsächlichen Einfluss auf klinische Endpunkte wie Herzinfarkte, Schlaganfälle und Mortalität belegen. Hausarztpraxen können als wichtige Partner in der Versorgungsforschung fungieren, indem sie an Studienprotokollen mitwirken und Routinedaten systematisch erfassen.
Die Zukunft erfordert benutzerfreundliche, evidenzbasierte digitale Tools, die mit robusten Evaluationsstudien entwickelt werden. Nur so lässt sich das volle Präventionspotenzial ausschöpfen und der nachhaltige Erfolg digitaler Präventionsmaßnahmen in der Versorgungsrealität sicherstellen. Begleitend könnte auch ergebnisoffen über sinnvollen und übertriebenen Datenschutz diskutiert werden.
Interessenkonflikte: Die Autorin und der Autor sind die Verfasser des Buchs “Evidenz für die Hausarztpraxis”. Prof. Jörg Schelling ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Gesellschaft zur Förderung der Impfmedizin mbH (GZIM).
Literatur:
Palmer MJ et al. Mobile phone–based interventions for improving adherence to medication prescribed for the primary prevention of cardiovascular disease in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021, Issue 3. Art. No.: CD012675. doi: 10.1002/14651858.CD012675.pub3
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