Bad Orb. “Was halten Sie eigentlich von Landarztquoten?”, wollte ein angehender Hausarzt beim Berufspolitischen Oktoberfest auf der Practica in Bad Orb am Donnerstagabend (26.10.) wissen.
Den Fragen der berufspolitisch Interessierten stellten sich die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier, sowie Prof. Marco Roos, unter anderem Sektionssprecher Weiterbildung der DEGAM und Lehrstuhlinhaber Allgemeinmedizin an der Universität Augsburg, und Dr. Kristina Spöhrer, Sprecherin der AG Digitales und Vorstandsmitglied im Hausärztinnen- und Hausärzteverband.
“Wir werden keine weiteren Medizinstudienplätze mehr fordern, bevor nicht endlich der Masterplan Medizinstudium 2020 umgesetzt wurde”, stellte Beier klar. Wichtiger sei, dass endlich der Masterplan 2020 umgesetzt werde. “Der Masterplan muss jetzt kommen”, pflichtete auch Roos bei. Außerdem sei an jeder Fakultät ein Lehrstuhl für Allgemeinmedizin nötig. Auf diesem Weg könne es gelingen, die jungen Menschen zu motivieren, den Weg der Allgemeinmedizin einzuschlagen.
Facharztwahl: Frei oder Quoten vorgeben?
Roos Vorschlag, darüber zu diskutieren, ob die Facharztwahl frei bleibt und darüber nachzudenken, ob schon bei der Bedarfsplanung Quoten für die Allgemeinmedizin eingeführt werden können, traf nicht bei allen anwesenden Ärztinnen und Ärzten auf Gegenliebe. Zwang dürfe es nicht geben, sagte etwa Dr. Til Uebel, Allgemeinarzt in Neckargemünd.
Dr. Uwe Popert, Hausarzt in Kassel, wies darauf hin, dass viele Facharztpraxen Hausärztinnen und -ärzte beschäftigten, die nichts mit den hausärztlichen Tätigkeiten zu tun hätten. Gelder flössen so auch in die Facharztschiene, obwohl sie in der hausärztlichen Versorgung benötigt würden. Hinzu käme die Beobachtung, dass immer mehr Facharztpraxen seit der Pandemie deutlich weniger erreichbar seien. Hier müsse ein Konzept her, das diese Umstände mit erfasse.
Beier appellierte an dieser Stelle an die Hausärztinnen und Hausärzte vor Ort, diesbezüglich Druck auf die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) auszuüben oder diese Problematik an ihre KVen heranzutragen. “Da reichen wir alleine nicht”, erklärte Beier.
Entbudgetierung nur mit MGV plus
Dr. Gunter Lehmann, Allgemeinarzt in Fuldatal, sprach die Entbudgetierung an: “Wann kommt diese und welche Auswirkungen wird das auf die Versorgung haben?
“Das ist eines der wichtigsten Themen für uns. Die Entbudgetierung ist im Koalitionsvertrag verankert”, meinte Buhlinger-Göpfarth. Der Verband sei optimistisch, dass die Entbudgetierung im Versorgungsgesetz I fixiert werde. Wenn das nicht bald geschehe, würden Praxen in Berlin und Hamburg schließen müssen, warnte Buhlinger-Göpfarth.
Dabei wies Beier zusätzlich darauf hin, dass die Entbudgetierung nach dem Modell “MGV plus” erfolgen müsse – etwas anderes würden die Hausärztinnen und Hausärzte ablehnen.
Will Politik bewährte Strukturen zerschlagen?
Die Politik hinterlässt auch bei jungen Ärztinnen und Ärzten offenbar nicht den Eindruck, dass die bewährten Strukturen im Gesundheitswesen unterstützt werden. “Will die Politik bewusst erreichen, dass ärztliche Leistungen substituiert werden? Sollen tatsächlich Parallelstrukturen aufgebaut werden?”, richtete sich Dr. Nils Vogel, Vorstand der Jungen Allgemeinmedizin Deutschland (JADE), an das Podium und spielte damit etwa auf die jüngsten Diskussionen rund um Gesundheitskioske und Vorsorgeleistungen in Apotheken an.
Fünf Jahre Facharztweiterbildung könnten nicht so schnell substituiert werden, meinte Buhlinger-Göpfarth. Die Versorgung würde in Zukunft nur im Team gelingen – wichtig sei nur, dass “wir den Hut aufhaben”, sagte sie. Und bei all diesen Fragen rund um Delegation komme es vor allem darauf an, die Haftung zu klären. Geht etwas schief, haften derzeit die Ärztinnen und Ärzte. Auch im neuen Pflegegesetz sei die Frage der Haftung ungeklärt.
Forderungspapier und Krisengipfel
“Ich glaube nicht, dass man uns zerschlagen will”, betonte Buhlinger-Göpfarth. Ein vernünftiges primärärztliches System sei auch ein demokratieförderndes Element – das wisse auch die Politik.
Beier wies in diesem Zusammenhang auf den vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband ausgerufenen Krisengipfel hin. “Wir haben einen Forderungskatalog mit sechs Punkten an die Politik aufgestellt”. Sollte auf die Forderungen nicht eingegangen werden, müssten Maßnahmen folgen.
Folgen des BSG-Urteils je nach KV unterschiedlich
Auch das Urteil des Bundessozialgerichts zu Poolärzten beschäftigte die Ärztinnen und Ärzte in Bad Orb. Noch ist unklar, wie sich das Urteil auf die Notdienststrukturen in den einzelnen KVen auswirken wird.
“In Baden-Württemberg ist das Chaos ausgebrochen”, berichtete etwa Buhlinger-Göpfarth. Die KV habe mit sofortiger Wirkung ihr Portal nach dem Bekanntwerden des Urteils geschlossen. Der Landesverband habe als erste Maßnahme eine Börse online gestellt, in der sich Poolärzte eintragen und Ärzte Vertreter suchen könnten.
Arbeitsministerium jetzt gefordert
Ein spezielles Problem in Baden-Württemberg: Die Merkmale, wie der Dienst organisiert sei und die Ärzte bezahlt und eingeteilt würden, deckten sich weitgehend mit denen, die die Bundessozialrichter aufgeführt hätten.
Das Bundesarbeitsministerium sei nun gefragt, schnell für eine Lösung zu sorgen, meinten Buhlinger-Göpfarth und Beier. Es hätten bereits erste Gespräche mit dem Ministerium stattgefunden.