Berlin. Dass das deutsche Gesundheitswesen dringend Reformen braucht, sei „unstrittig“. „Es krankt an zu wenig Steuerung“, unterstrichen Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Markus Beier vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags. Hier standen die beiden Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes am Montag (13. Oktober) Politikern aller Fraktionen Rede und Antwort und trugen die Forderungen ihrer Petition zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung in persona an die Politik.
„Steuerung ist keine Zumutung, sondern hausärztliche Begleitung in einem komplexen System“, brachte es Buhlinger-Göpfarth auf den Punkt. Deutschland hinke hier im internationalen Vergleich deutlich hinterher.
Dass das im Koalitionsvertrag vorgesehene Primärarztsystem dieses Problem adressieren wird, sagte Tino Sorge (CDU), Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, in der Aussprache erneut zu. Bei der ausdrücklichen Frage nach dem Zeitplan des Ministeriums blieb er jedoch vage: „Im Laufe des nächsten Jahres“ sei man sicher soweit, konkrete Ideen zur Ausgestaltung zu haben, die dann auch „zeitnah“ umgesetzt werden könnten. Bis dahin seien jedoch noch zahlreiche Fragen offen, etwa inwiefern auch mit Zwang zur Teilnahme gearbeitet werden soll.
Auf Nachfrage der Unionsfraktion gab Beier die Einschätzung ab, dass ein Systemwandel besser auf Anreizen als auf Strafen aufzubauen ist. Beispielsweise sei die im Koalitionsvertrag vorgesehene Termingarantie aus hausärztlicher Sicht ein denkbares Instrument, um die Versicherten für die Teilnahme an einem Primärarztsystem zu begeistern.
Rekord: Über 659.000 Unterschriften gesammelt
Im Petitionsausschuss teilten Beier und Buhlinger-Göpfarth ihre Erfahrungen mit der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV), an der bereits mehr als zehn Millionen Menschen teilnehmen.
Hintergrund für ihr Vorsprechen im Ausschuss war der überaus große Erfolg der Petition, die der Hausärztinnen- und Hausärzteverband (HÄV) gemeinsam mit dem Verband medizinischer Fachberufe (vmf) eingebracht hatte. Über 659.000 Menschen hatten diese unterzeichnet, sagte Ausschussvorsitzende Hülya Düber (CDU/CSU) mit Eröffnung der Sitzung. Dabei machte sie deutlich, dass der Ausschuss keine inhaltlichen Beschlüsse zu den konkreten Forderungen (s. Kasten) treffen wird, sondern lediglich zu den Inhalten in einen Austausch gegangen wird.
Um vom Petitionsausschuss des deutschen Bundestags beraten zu werden, benötigt eine Petition in Deutschland 30.000 Unterschriften. Das Ergebnis der gemeinsamen Eingabe von HÄV und vmf war mit dem Vielfachen dieses Quorums eine der größten Bundestagspetitionen aller Zeiten. „Über 600.000 Stimmen können und dürfen im politischen Berlin nicht ignoriert werden“, unterstrich Buhlinger-Göpfarth, Co-Bundesvorsitzende des HÄV, zu ihrem Termin im Bundestag.
Politiker aller Fraktionen unterstreichen Handlungsbedarf
Für die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung sei das bisher bestehende „willkürliche System“ nicht mehr geeignet, erklärte Beier in der Sitzung, die öffentlich war und auch im Livestream übertragen wurde. „Wir brauchen vielmehr ein System, das den steigenden Herausforderungen in der Versorgung unserer immer älter werdenden Gesellschaft gerecht wird.“ Mit der HZV gebe es ein solches System bereits. „Mit dem Ausbau der HZV sowie der Stärkung unserer Praxisteams stellt die Petition zwei klare Forderungen an die Politik, die in dieser Legislaturperiode erfüllt werden müssen“, so Beier.
Die Ausschussmitglieder aller Fraktionen betonten unisono, dass die hausärztliche Versorgung eine unverzichtbare Basis für das gesamte Gesundheitssystem ist und dringend gestärkt werden muss. Das Thema treibe auch die Menschen im Land um, so Simone Borchardt, Gesundheits-Berichterstatterin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Die Patienten haben verstanden, worum es geht“, beobachtet auch Dr. Michael Arndt (Linke), selbst Hausarzt.
Apothekenpläne: Staatssekretär greift Kritik auf
Auf Nachfrage gab Gesundheits-Staatssekretär Tino Sorge auch einen Einblick in die aktuellen Apothekenpläne des Ministeriums, die für Zündstoff gesorgt hatten. Es gehe dem Ministerium nicht darum, dass Apotheker „Teile des ärztlichen Berufs übernehmen und Diagnosen stellen sollen“, stellte Sorge klar. Es gehe lediglich um „Unterstützung“. Diese konkretisierte er jedoch nicht weiter.
Nachdem Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) Mitte September weitreichende neue Befugnisse für Apotheken in Aussicht gestellt hatte, stemmte sich eine breite Allianz aus HÄV und weiteren ärztlichen Verbänden gegen diese und warnte vor deutlichen Gefahren für die Patientensicherheit.
Man sei hierzu in “guten Gesprächen”, so Sorge.