© Jan Winkler, Hausärzteverband Baden-WürttembergProf. Dr. med. Frank Peters-Klimm ist Facharzt für Allgemeinmedizin in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis in Kuppenheim und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Uniklinikum Heidelberg
Wie gehen Sie medikamentös vor, wenn eine linksventrikuläre Herzinsuffizienz mit einer Auswurffraktion unter 40 Prozent echokardiographisch (HFrEF) bestätigt ist?
Im Mittelpunkt stehen hier gemäß der aktuellen NVL bestimmte Wirkstoffe, die das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) beeinflussen, sowie Betarezeptorenblocker und Diuretika.
Im NYHA-Stadium I, der asymptomatischen LV-Dysfunktion, kommt nur ein ACE-Hemmer bzw. bei Unverträglichkeit ein Angiotensinrezeptorblocker (ARB) zum Einsatz, nach durchgemachtem Herzinfarkt oder bei Hypertonie zusätzlich ein Betablocker.
Ab NYHA-Stadium II besteht die Basistherapie aus einem ACE-Hemmer bzw. einem ARB sowie einem Betablocker.
Dabei soll bis zur Zieldosierung bzw. maximal tolerierten Dosis auftitriert werden, beim Betablocker bis zu einer Herzfrequenz von 55 bis 60/Minute. Persistiert die Symptomatik, wird ein Mineralokortikoidrezeptorantagonist (MRA) hinzugefügt.
Die eben genannte Behandlung bezeichnet die NVL als Basistherapie. Diuretika werden in allen Stadien entsprechend dem Flüssigkeitsstatus eingesetzt und dosiert. Schleifendiuretika stehen hier meines Erachtens an erster Stelle, weil sie kaliuretisch wirken und so den hyperkaliämisierenden Effekt der Basistherapie zum Teil oder ganz ausgleichen können.
Bei symptomatischen Patienten im Sinusrhythmus, die einen Betablocker nicht tolerieren oder unter maximal tolerierter Dosis ein Herzfrequenz von 75 und mehr pro Minute haben – beides eher seltene Konstellationen – kommt Ivabradin zum Einsatz.
Im Sinne einer Stufentherapie empfiehlt die NVL seit 2021 für Patienten, deren Symptome unter einer optimal dosierten Basistherapie nicht ausreichend beherrscht werden, eine Intensivierung durch zusätzliche Gabe eines SGLT2-Inhibitors – unabhängig vom Diabetesstatus – oder den Austausch des ACE-Hemmers bzw. des ARB durch die Kombination Sacubitril/Valsartan.
Bleiben Patienten trotz Therapie-Intensivierung mit Sacubitril/Valsartan oder SGLT2-Inhibitoren symptomatisch, kann gemäß NVL im nächsten und letzten Schritt additiv auch der jeweils andere Wirkstoff bzw. die andere Wirkstoffkombination angeboten werden.
Was spricht im Einzelfall für oder gegen einen SGLT2-Hemmer?
Ein SGLT2-Hemmer erscheint insbesondere naheliegend für Patienten mit Typ-2-Diabetes. Insgesamt gesehen werden SGLT2-Hemmer gut toleriert. Bei entsprechender Komedikation ist auf Hypoglykämien zu achten. Gegen den Einsatz spricht ein Typ-1-Diabetes, weil hier ein erhöhtes Ketoazidoserisiko besteht.
Auch für Patienten mit Harninkontinenz kann ein SGLT2-Inhibitor problematisch werden, weil aufgrund der Zuckerausscheidung mit dem Urin die Gefahr von Infektionen im Intimbereich erhöht ist, die im Einzelfall sehr ernst verlaufen können. Der Bedarf an Diuretika fällt oft nach Beginn mit einem SGLT2-Hemmer, auf die Entwicklung einer Hypovolämie – mit Folgen wie Schwindel, Sturz und Nierenfunktionsstörung – ist zu achten.
Wie unterscheiden sich die Empfehlungen der NVL von denen der ESC-Leitlinie?
Die Leitlinie der ESC hat bei HFrEF das Stufenkonzept verlassen und empfiehlt eine 4-mal-4-Therapie, das heißt alle vier Substanzklassen innerhalb von vier Wochen zu starten und nicht mehr nacheinander nach vorheriger Titration zu maximal tolerierten Dosen zu verabreichen.
In der Praxis sehe ich seit dem Erscheinen der ESC-Leitlinie 2021 zunehmend Patienten mit der Erstdiagnose HFrEF, die aus stationärer Behandlung mit Sacubitril/Valsartan plus Betablocker plus SGLT2-Inhibitor plus Diuretikum entlassen werden. Damit muss man dann in der Hausarztpraxis umgehen!
Welche Gründe gibt es für diese unterschiedlichen Empfehlungen?
Da kann ich nur spekulieren. Letztlich wird durch die international besetzte Autorengruppe der ESC-Leitlinien dieselbe Literatur gelegentlich anders bewertet als durch die Autorengruppe der NVL.
Immer wieder höre ich Stimmen aus der Kardiologie, die Designs und Ergebnisse der Studien seien auch “historisch” zu betrachten. So habe seit den 1990er-Jahren zu jedem Therapiestandard ein zusätzlicher neuer Wirkstoff einen zusätzlichen Effekt gezeigt, woraus letztlich zu schließen sei, bei Patienten mit HFrEF am besten gleich innerhalb von vier Wochen mit ACE-Hemmer oder Sacubitril/Valsartan, Betablocker, MRA und Dapagliflozin/Empagliflozin zu beginnen, um zeitnah einen möglichst großen Nutzen für den Patienten zu erzielen.
Hierbei handelt es sich um eine interessante, aber nicht überprüfte Hypothese. Die ungeklärte Frage: Wie ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis beider Strategien in realen Patientenkollektiven?
Ungeachtet des unbekannten Ergebnisses eines Direktvergleichs ist schon jetzt gewiss, dass mit dem ESC-Algorithmus Fakten geschaffen werden, die die Pharmakotherapie erheblich verteuern.
Betrachtet man beispielsweise allein die Zahlen des Nutzenbewertungsverfahrens des G-BA zu Dapagliflozin bei HFrEF, errechnen sich bei Jahrestherapiekosten von rund 580 Euro und etwas mehr als zwei Millionen infrage kommenden Patienten jährliche Kosten von über 1,2 Milliarden Euro! Die Jahrestherapiekosten für einen Patienten unter Empagliflozin bzw. Sacubitril/Valsartan in Standarddosierung belaufen sich sogar auf rund 660 bzw. 1.700 Euro.
Zum Vergleich die Zahlen für die Standardmedikamente: ACE-Hemmer/ARB rund 50 bis 140 Euro, Betablocker etwa 50 bis 170 Euro und Spironolacton bzw. Eplerenon rund 60 bis 80 bzw. 400 Euro. Das neue 4-mal-4-Regime müsste meines Erachtens also mindestens zeigen, dass es tatsächlich zusätzlich Leben rettet und Krankenhauseinweisungen reduziert.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mögliche Interessenkonflikte: Der Interviewte hat keine deklariert.