In Deutschland sind circa 1,8 Millionen Menschen an Demenz erkrankt; diese Zahl wird absehbar weiter steigen [1]. Grundsätzlich gelten Hausärztinnen und Hausärzte als besonders gut geeignet, kognitive Beeinträchtigungen ihrer (oft langjährigen) Patientinnen und Patienten frühzeitig zu erkennen und die Weichen für Beratung und Krankheitsmanagement so zu stellen, dass diese möglichst lange in der Häuslichkeit verbleiben können [2-5].
Dem entgegen steht, dass das hohe Maß an notwendiger Spezialisierung bei der Detektion und Betreuung von Demenzerkrankungen kaum mit dem beträchtlichen Zeit- und Ressourcendruck im hausärztlichen Setting sowie der unselektierten Patientenschaft konform geht [2, 6-11].
Bislang haben nur wenige Untersuchungen den Versuch unternommen, den Status quo der hausärztlichen Demenzversorgung abzubilden und dabei zugleich die Erfahrungs- und Handlungsperspektive von Hausärztinnen und Hausärzten selbst zu fokussieren [9]. Die vorliegende Studie zielte darauf ab, anhand einer gebündelten Betrachtung relevanter Betreuungs- und Versorgungsdimensionen in Bezug auf Demenzpatienten und deren pflegende Angehörige mögliche Stärken und Schwachpunkte des hausärztlichen Settings zu identifizieren [2], [4], [9], [10], [12-16].
An der Online-Befragung haben im Jahr 2022 insgesamt 2.257 als Behandler aktive Hausärztinnen und Hausärzte in Hessen und Baden-Württemberg teilgenommen. Ein Drittel der gewonnenen Stichprobe hatte eine Zusatz-Weiterbildung bzw. Fachkunde Geriatrie.
Wie gehen Hausärzte vor?
Während 85 Prozent der Befragten angeben, im Verdachtsfall bzw. zur Verlaufskontrolle auf Demenztests zurückzugreifen, machen 70 Prozent im Rahmen des geriatrischen Basisassessments hiervon Gebrauch. 34 Prozent setzen Demenztests dezidiert zu Screeningzwecken ein. Ärztinnen und Ärzte mit geriatrischer Weiterbildung setzen Demenztests merklich häufiger zur Verlaufskontrolle ein als Ärztinnen und Ärzte ohne entsprechenden Hintergrund (60 zu 40 Prozent; p<0.001).
39 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte können in der eigenen Praxis auf demenzgeschultes Personal zurückgreifen, das entsprechende Fortbildungen durchlaufen hat. Unter Ärztinnen und Ärzten mit geriatrischer Weiterbildung liegt der Anteil geschulten Personals deutlich höher als bei Ärztinnen und Ärzten ohne eine solche Weiterbildung (49 zu 34 Prozent; p<0.001). Befragte, die über demenzgeschultes Personal verfügen, geben häufiger an, dass über das Personal Hinweise auf mögliche Demenzerkrankungen bezogen wurden (47 zu 30 Prozent; p<0.001).
Nach eigener Aussage führen lediglich 10 Prozent der Befragten in der Regel selbst eine (S3-leitliniengerechte) Demenzdiagnose durch; 64 Prozent überweisen Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf Demenz in der Regel zur weiteren Abklärung bzw. zur Stellung einer Diagnose zum niedergelassenen Neurologen bzw. Psychiater oder zu einer Gedächtnisambulanz. Die restlichen 26 Prozent handhaben dies ganz unterschiedlich.
25 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte sind nach eigener Aussage generell bei der Therapie von Demenzpatienten eingebunden und übernehmen in Abstimmung mit Spezialisten entsprechende Aufgaben. Bei weiteren 22 Prozent erfolgt eine therapeutische Begleitung nur in Einzel- bzw. Ausnahmefällen. 53 Prozent überlassen die Therapie in der Regel ausschließlich Spezialisten.
Klares Rollenverständnis
Die große Mehrheit der Befragten sieht es als ihre genuine Aufgabe, in der Betreuung demenziell erkrankter Patientinnen und Patienten präsent zu sein und diese nicht ausschließlich Spezialisten zu überlassen. Auch sind sich die Befragten der Bedeutung einer funktionierenden und rechtzeitigen Demenzdiagnostik prinzipiell bewusst, vor allem wenn diese leitlinienkonform erfolgt.
Viele Befragte sehen die eigene Selbstwirksamkeit als durchaus gegeben an, wenn es darum geht, einen Beitrag zur Lebensqualität von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zu leisten. Zugleich werden Problematiken deutlich, die sich insbesondere in der praktisch-diagnostischen Abgrenzung einer Demenzerkrankung von anderen kognitiven Beeinträchtigungen und der Antizipierung von Versorgungs- bzw. Therapiebedarfen niederschlägt.
Auch zeigen sich die Befragten bei der Compliance-förderlichen Gesprächsführung (Demenzverdacht bzw. -diagnose) vergleichsweise unsicher. Weiter bekunden viele Hausärztinnen und Hausärzte, sich nicht gut mit Hilfs- und Unterstützungsangeboten auszukennen, an die Patienten und Angehörige verwiesen werden können. Geriatrische Ärztinnen und Ärzte gehen erheblich stärker davon aus, sich gut mit Hilfsangeboten im Bereich Demenz auszukennen und bedarfsorientiert an diese zu vermitteln.
Vielschichtige Anforderungen
Als besonders herausfordernd erleben Hausärztinnen und Hausärzte neben dem erfolgreichen therapeutischen Management somit die differenzialdiagnostische Abklärung, aber auch kommunikative und Compliance-Probleme, die sich im Patientengespräch im Zuge der Aufklärung über die Diagnose ergeben können.
Analog zu den oben stehenden Befunden empfinden Ärztinnen und Ärzte mit einem geriatrischen Weiterbildungshintergrund bestimmte Problematiken als weniger gravierend, etwa diagnostische Vorgehensweisen oder den Umgang mit bzw. die Beratung von Demenzerkrankten und Angehörigen.
Fazit
- Die Studienteilnehmenden halten es für grundsätzlich bedeutsam, dass Hausärztinnen und Hausärzte in Fragen der Betreuung demenziell erkrankter Personen und deren pflegenden Angehörigen präsent sind. Die meisten äußern den Wunsch, Patienten und Angehörige aktiv zu begleiten.
- Viele Hausärztinnen und Hausärzte erleben sowohl praktisch-diagnostische Schritte der (leitliniengerechten) Identifizierung einer Demenz als auch das konsequente Krankheitsmanagement inklusive der Antizipierung von Versorgungs- bzw. Therapiebedarfen im zeitkritischen Praxisalltag als herausfordernd. Ein erheblicher Teil der Stichprobe traut es sich nur bedingt zu, einschlägige Hilfs- und Unterstützungsangebote zu überblicken und bedarfsorientiert dorthin zu verweisen.
- Ärztinnen und Ärzte mit geriatrischer Weiterbildung haben Kenntnis-, Orientierungs- und Sicherheitsvorteile. Besonders deutlich wird dies etwa, wenn es um den Überblick über lokale oder regionale Hilfs- und Unterstützungsangebote sowie die Vermittlungstätigkeit hin zu selbigen geht. Auch können sie häufiger auf geschultes Praxispersonal zurückgreifen.
- Es scheint daher geboten, die geriatrische Kompetenz von Hausärztinnen und Hausärzten weiter zu stärken, Allgemeinmediziner besser über Kooperations- und Hilfsstrukturen im Bereich der Demenzversorgung aufzuklären und sie in diese zu integrieren.
Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.
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