Welche Rationale steckt hinter der Pilotstudie?
Prof. Martin Halle, Ärztlicher Direktor des Instituts für Sportmedizin und Sportkardiologie der TU München: Menschen werden nicht krank, weil sie älter geworden sind, sondern weil sie sich nicht genug bewegen. Regelmäßiges körperliches Training ist die beste Medizin, um Muskelschwund, Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit möglichst lange entgegenzuwirken. Gefördert von der Beisheim Stiftung, entwickeln wir ein ganzheitliches, universal einsetzbares Bewegungsprogramm für Senioreneinrichtungen in Deutschland. Mit der Pilotstudie wollten wir vor allem die Machbarkeit eines solchen Trainings in Senioreneinrichtungen belegen. Ab Januar 2020 soll eine cluster-randomisierte Längsschnittstudie mit 20 Senioreneinrichtungen und rund 400 Teilnehmern die gesundheitsfördernden Effekte des Trainingsprogramms nachweisen.Dass sich ein körperliches Training in jedem Alter lohnt, hat das sechsmonatige Pilotprojekt zur TUM-Studie “bestform. Sport kennt kein Alter” bereits bestätigt: Durch das Training konnten die Studienteilnehmer im KWA Stift Rupertihof in Rottach-Egern und im Diakoniewerk München-Maxvorstadt ihre Muskelkraft deutlich verbessern und ihr Sturzrisiko verringern. Auch die Angst vor Stürzen reduzierte sich bei den meisten Senioren im Projektverlauf.
Worauf ist beim Seniorentraining zu achten?
Esther Mende, Sportwissenschaftlerin im Team von Prof. Halle, München: In der Anfangsphase des Krafttrainings beginnen wir mit geringen Gewichten, um die Senioren und ihre gesundheitlichen Schwachstellen kennen zu lernen. Sehen wir dann beispielsweise, dass mit den Knien keine Probleme bestehen, erhöhen wir die Gewichte in diesem Bereich, um einen Reiz zu setzen und das Muskelwachstum zu fördern. So konnten wir etwa bei der Beinpresse feststellen, dass sich das Gewicht im Verlauf der Pilotstudie bei manchen Senioren verdoppelt hat. Wir bemühen uns, für jeden Teilnehmer machbare Übungen zu finden, teilweise lassen sich die Geräte etwas anpassen oder man ergänzt das Repertoire z.B. durch Übungen mit dem Wackelpad. Allerdings sollen die Übungen einfach und überschaubar bleiben: einerseits, weil das den Senioren entgegenkommt, andererseits, weil sie dadurch die Möglichkeit haben, sich nebenbei zu unterhalten – so kommt der soziale Aspekt beim Training nicht zu kurz. Das ist ein weiterer Grund, weshalb die Senioren gerne zum Sport kommen.
Hilfreich ist auch, dass viele Hausärzte ihren Patienten fast immer sofort zum Training raten, wenn sie von einer geplanten Teilnahme hören. Für uns ist es wichtig, eine Bestätigung des Hausarztes zu bekommen, dass die Senioren am Training teilnehmen dürfen oder – ebenso wichtig – gegebenenfalls einen Hinweis auf ein bestehendes Problem zu erhalten. Denn falls der Patient beispielsweise gerade einen Stent erhalten hat, können wir unser Programm entsprechend anpassen und ihm nur Koordinations-Übungen oder Radfahren anbieten.
Hat Ihnen das Training Spaß gemacht?
Teilnehmerin Erika R. 83 Jahre, München: Ja, das hat es, und deshalb habe ich möglichst regelmäßig am Programm teilgenommen – einfach, weil ich mich wohl fühle, wenn ich mich sportlich betätigen kann. Bei den Gewichten konnte ich mich sogar ein wenig steigern. Von anderen Senioren höre ich, dass es ihnen ebenso geht. Daher hoffen wir sehr, dass das Training weitergeführt wird, es wäre ein echter Verlust an Lebensqualität, wenn diese Möglichkeit wegfallen würde.
Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Krafttraining?
Nina Schaller, Diplom-Ökotrophologin und Projektleiterin im Team von Prof. Halle, München: Unser übergeordnetes Ziel ist es, die Mobilität und Selbstständigkeit der Teilnehmer bis ins hohe Alter zu erhalten, zu befördern und vielleicht sogar zu steigern. Dafür haben wir gemeinsam mit den Sportwissenschaftlern ein Trainingskonzept entwickelt, das unter Anleitung in Kleingruppen von vier bis sechs Personen durchgeführt wird. Zudem war uns wichtig, dass das Training in der Senioreneinrichtung stattfindet. So können die Senioren aktiv werden, ohne sich erst überlegen zu müssen, wie sie ins Fitnessstudio kommen und ob sie sich unter den jungen Menschen überhaupt wohl fühlen würden. Diese Barrieren entfallen durch unser Setting vor Ort. Entsprechend gut nehmen die Senioren das Angebot an: Wir haben doppelt so viele regelmäßig trainierende Teilnehmer, als anfangs erwartet; nur rund zehn Prozent beenden das Training vorzeitig. Viele sind nach wie vor mit Spaß dabei, und wir erhalten oft positive Rückmeldungen.
Welche Parameter haben Sie in der Pilotstudie erfasst, wie geht es weiter?
Nina Schaller: In der Pilotstudie ging es in erster Linie um die Machbarkeitskriterien, also wie viele Teilnehmer sich rekrutieren lassen und ob sie regelmäßig kommen. Dabei sollte mindestens die Hälfte aller angebotenen Trainingseinheiten besucht werden und die Abbrecherquote sollte möglichst unter 40 Prozent liegen. Diese Kriterien wurden erreicht und damit die Machbarkeit belegt. In der Folgestudie werden wir uns stärker auf die medizinischen Daten konzentrieren, um eine Aussage über die Effektivität des Trainings treffen zu können. Zusätzlich möchten wir Funktionstests wie etwa Handkraft-Tests, Muskelfunktions-Tests oder Gleichgewichts-Tests durchführen und das psychische Wohlbefinden bzw. die Lebensqualität im Verlauf des Trainings erfassen.
Für die Studie suchen wir derzeit noch Senioreneinrichtungen im Großraum München mit mindestens 50 Bewohnern und einer zumindest provisorischen Fläche für fünf bis sieben Krafttrainingsgeräte.
Quelle: Pressetermin der Technischen Universität München zur TUM-Studie “bestform. Sport kennt kein Alter” in München