© Heidrun Lange Abends taucht die Landschaft in ein warmes, angenehmes Licht ein.
Idealer Lebensraum für scheue Tiere
Sonnenstrahlen dringen durch die Kronen und lassen die meterhohen Farne und Brennnesseln in sattem Grün leuchten. Am Boden ist ein leises Fiepen zu hören, während Eidechsen, Mäuse und Käfer über Laub, Gras und Baumwurzeln huschen. Die sanften Hügel, Moorseen und mächtigen Bäume bieten Lebensraum für scheue Wölfe und Luchse, die im Dickicht auf Beutefang sind und Wildschweine, Rehe sowie Hirsche jagen.
Außerhalb der strengen Schutzzone sind besonders am Morgen und Abend die zotteligen Wisente unterwegs. Das war nicht immer so. Das letzte wilde Exemplar wurde 1919 im Białowieża-Urwald erlegt. Ein Jahr später begann ein Botaniker mit der Wiederansiedlung der sanften Riesen und richtete eine Aufzuchtstation ein.
Dank strenger Schutzmaßnahmen und internationaler Zusammenarbeit in Zoos wurden die Wisente gerettet. 1952 wurden die ersten Tiere wieder in die Freiheit entlassen. Heute streifen etwa 1.500 frei lebende Wisente durch den polnischen Wald, davon die Hälfte im Urwald.
Sie fressen junge Bäume und Sträucher, was das Wachstum verschiedener seltener Pflanzenarten ermöglicht. Sie markieren ihre Reviere und sorgen dafür, dass die natürliche Balance im Urwald aufrecht erhalten wird. Lukasz wollte diese Gegend kennenlernen, inspiriert durch einen Zeitschriftenbeitrag über Europas letzten Tiefland-Urwald.
In Chile war er Fischer, und in Finnland erkundete er die einsamen Sümpfe des entlegenen Lapplands. “Es scheint, als sei ich genetisch dazu bestimmt, mich von abgelegenen Orten anziehen zu lassen,” sagt er. Jetzt führt er Besucher auf den Pfaden des Wolfes oder Wisents durch den Urwald.
Fast jeden Morgen springt er in den kalten Fluss Narewka, der sich gemächlich am Rande des Dorfes und durch Sümpfe und Röhrichte schlängelt. Ein idealer Rückzugsort für zahlreiche Vogelarten. Im Schilf, das den Rand des Gewässers säumt, hat eine Stockente am Boden ein Nest gebaut, gut verborgen und geschützt vor Räubern.
Während das Wasser sanft plätschert und die Gräser im Wind wiegen, ruft ein Uhu in den angrenzenden Wald. Inmitten des alten Holzes haben sie ihre Nistkästen und Höhlen eingerichtet, die einen sicheren Zufluchtsort bieten. Lukasz lehnt sich an einen Baum, an dem ein scheues Eichhörnchen wohnt, das sich nur selten blicken lässt.
Zu seinen Füßen breiten sich die moosbedeckten Wurzeln aus. Fast immer kommt er an dem großen, zwergenhutförmigen Baumpilz vorbei, der sehr alt ist und so hart wie Holz.
© Heidrun Lange Mit dem Kanu auf dem Fluß Narewka unterwegs.
In den Wald wird kaum eingegriffen
“Jahrelang dachte ich, die Waldgebiete in ganz Europa seien nur dichte Kiefern- und Eichenwälder”, sagt er. Mit dem Białowieża-Urwald ist das nicht zu vergleichen. Hier wachsen Eschen, Ulmen, Linden und viele andere Laubbäume. Das Besondere ist, dass in diesem Wald kaum eingegriffen wird.
Die Natur darf einfach machen, was sie will. Diese Unberührtheit macht den Białowieża-Urwald so wertvoll. Er ist wie ein lebendes Museum, in dem natürliche Abläufe wie das Nachwachsen der Bäume, das Verrotten von totem Holz und die Aktivitäten der Tiere ganz natürlich stattfinden. Während der Naturführer erzählt, summt und brummt es überall um ihn herum.
Der Zeidler Pfad ist lebendig. Oben am Baum öffnet ein moderner Zeidler vorsichtig den Holzdeckel, ganz so, wie es im Mittelalter gemacht wurde. Ohne Netz und Handschuhe zieht er eine Wabe heraus. “Stichfest muss man in diesem Job sein”, sagt er lachend. Da die Felder hier nur extensiv bewirtschaftet werden, hat der Honig Bio-Qualität.
Lukasz schaut in die weite, ruhige Landschaft. “Hier in den Hinterwäldern”, meint er, “kann man noch die Seele der Natur spüren. Unberührt, wild und frei.”
Weitere Informationen
Anreise
Der Białowieża-Urwald liegt im Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus in der polnischen Woiwodschaft Podlachien. Mit dem Auto erreicht man den Ort Białowieża mit dem Auto über Warschau (ca. 230 Kilometer). Ab Warschau gibt es Zugverbindungen nach Hajnówka (ca.3 bis 4 Stunden). Von Hajnówka aus sind es dann noch etwa 20 Kilometer bis Białowieża. Von dort mit dem Bus oder einem Taxi.
Tipp
Die Wildrinder mit dem zotteligen Fell sind schwer zu entdecken. Am besten ist es im Winter oder Frühjahr und mit einem ortskundigen Guide. Falls sich in der freien Wildbahn kein Wisent gezeigt hat, es gibt das Wisentgehege in der Nähe des Dorfes Białowieża.
Unterkunft und Restaurant
Das Apartamenty Carskie befindet sich im ehemaligen Bahnhof “Białowieża Towarowa”, der im frühen 20. Jahrhundert für Zar Nikolaus II. gebaut wurde. Heute ist er ein Hotel mit Apartments im Haus des Bahnwärters, einem Wasserturm oder luxuriösen Salonwagen. Das Restaurant im Bahnhofsgebäude bietet exzellente lokale Küche. www.carska.pl