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PsychologieWege aus der Einsamkeit

Einsamkeit und neurologische Erkrankungen bedingen sich gegenseitig. Prof. Frank Erbguth erklärt, welche Mechanismen hierbei eine Rolle spielen – und wie sich der Teufelskreis durchbrechen lässt.

Menschen sind Teil einer großen WhatsApp-Gruppe, aber abgesehen von Nachrichten-Ping-Pong passiert nicht viel.

Studien zeigen, dass Einsamkeit das Risiko für neurologische Erkrankungen wie Demenz und Schlaganfall erhöht. Welche Mechanismen spielen hierbei eine Rolle?

Es wirkt ein ganzes Konglomerat an Faktoren zusammen: Einsame Menschen ernähren sich zum Beispiel oft schlechter, trinken eher Alkohol und schlafen und bewegen sich weniger. Sie sind weniger kompetent in Gesundheitsfragen, weil die Verortung im sozialen Raum fehlt.

Auch leiden sie häufiger an einer Depression, was wiederum das Schlaganfallrisiko erhöht. Wobei sich bei einigen dieser Faktoren die Henne-Ei-Frage stellt: Was war zuerst da, die Einsamkeit oder die Depression?

Dazu kommen direkte körperliche Mechanismen. Wir haben zum Beispiel beobachtet, dass Ghosting eine enorme Stressreaktion auslöst: In funktionellen Kernspins zeigt sich eine ähnliche Gehirnaktivität wie beim somatischen Schmerz. Das Gehirn ist also in der Lage, Gefühle wie Einsamkeit als schmerzähnlich zu verarbeitet, wodurch mehr Stresshormone ausgeschüttet werden und der Blutdruck steigt.

Umgekehrt kann Einsamkeit auch eine Folge neurologischer Erkrankungen sein.

Neurologisch Erkrankte haben oft körperliche Einschränkungen und sind weniger mobil, manchmal ist auch die Sprache beeinträchtigt. Dazu kommt, dass neurologische Krankheiten viel schambesetzter sind als zum Beispiel Krebserkrankungen.

Das Gehirn hat mit dem eigenen Wesen zu tun: Durch eine Demenz werden wir vergesslicher, bei Parkinson langsamer und hibbeliger, nach einem Schlaganfall können wir eventuell nicht mehr richtig sprechen. Vor allem Männern fällt es daher oft schwer, sich zu outen und über ihre Erkrankung zu sprechen.

Die Betroffenen ziehen sich also lieber zurück.

Genau. Ich habe im Krankenhaus übrigens beobachtet, dass es kulturell sehr unterschiedlich ist, wie Erkrankte Sozialkontakte pflegen. Ein Klischee ist der deutsche Studienrat, der ein Einzelzimmer wünscht. Die Botschaft dahinter: Er möchte seine Ruhe.

Rekonvaleszenz bedeutet für ihn, für sich zu sein und sich zu sammeln. Bei türkischen Patienten hingegen ist den ganzen Tag was los. Hier gilt der Leitsatz: Wer krank ist, möchte besucht werden.

Können neurologische Erkrankungen auch über körperliche Mechanismen zu mehr Einsamkeit führen?

Die Inselregion der rechten Hirnhälfte scheint bei Einsamkeit eine Rolle zu spielen. Kommt es dort zu einem Schlaganfall, werden Menschen “sozial blind”: Das Gehirn kann dann die Performance nicht mehr leisten, die nötig ist, um gut sozial zu interagieren.

Was ist die aus Ihrer Sicht wichtigste Maßnahme, um den Teufelskreis aus Erkrankung und Einsamkeit zu durchbrechen?

Das hängt vom Typ ab. Viele Betroffene profitieren immens von Selbsthilfegruppen – dort können sie sich austauschen und neue Freundschaften knüpfen. Die Deutsche Hirnstiftung hat zum Beispiel vor Weihnachten einen Kochkurs für Einhändige veranstaltet.

Sehr hilfreich sind auch neue Wohnformen wie die Demenz-WG. Manche Betroffene wollen jedoch nicht Zeit mit Menschen verbringen, die dieselbe Erkrankung haben bzw. eventuell noch kränker sind. In diesem Fall hilft es möglicherweise, bereits bestehende Kontakte zu reaktivieren.

Wie gelingt das?

Man kann die Patientinnen und Patienten oder ihre Angehörigen dazu ermutigen, frühere Bekannte aktiv anzusprechen. Manchmal trauen sich die anderen nämlich auch nicht, sich zu melden. Sie sind oft selbst unsicher (“ob der Kontakt will?”) oder wissen nicht, wie sie mit der Krankheit umgehen sollen. Ein mutiges Zugehen auf diese Menschen kann vieles reparieren.

Kommt es auf die Qualität der Beziehungen an? Oder helfen auch oberflächliche Kontakte, Gefühle von Einsamkeit zu reduzieren?

Auch unverbindliche Begegnungen im Alltag helfen. Kürzlich saß ich während einer Zugfahrt mit einer Familie mit Hund und einer allein reisenden Frau im Abteil. Über den Hund entwickelte sich ein munteres Gespräch, das die ganze restliche Zugfahrt anhielt.

Irgendwann sagte die Frau zu mir: “Ich bin seit meinem Studium Zugfahrerin. Früher haben im Zug alle Leute miteinander geplaudert. Aber heute ist das völlig weggebrochen, jeder guckt nur auf sein Handy.” Dabei tut es uns gut, in Alltagssituationen andere Menschen anzusprechen.

Apropos aufs Handy gucken – können digitale Kontakte nicht auch hilfreich sein?

Es sind immerhin Kontakte, aber kein vollwertiger Ersatz für eine physische Begegnung. Soziologen sprechen von Masseneremitentum – die Menschen sind Teil einer großen WhatsApp-Gruppe, aber abgesehen von Nachrichten-Ping-Pong passiert da nicht viel.

Hat Einsamkeit in unserer Gesellschaft denn zugenommen?

Einsamkeit ist schwer zu messen – soziale Isolation ist ein guter Indikator, hängt aber nicht unbedingt mit Einsamkeit zusammen. Die vorhandenen Studien basieren auf Befragungsdaten und sind daher mit Vorsicht zu interpretieren; zudem gibt es einen gewissen Bias durch die Covid-19-Pandemie.

Insgesamt sehen wir jedoch schon eine Zunahme. Die Daten zeigen auch, dass sich ein erheblicher Teil der jüngeren Menschen einsam fühlt.

Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen?

Ich beobachte eine durch die Covid-19-Pandemie stimulierte gesellschaftliche Gereiztheit, die wenig Raum für entspannten Dialog lässt und Kontakt nicht unbedingt fördert. Ähnliches hatte schon Thomas Mann im “Zauberberg” angesichts der Tuberkulose beschrieben.

Die Pandemie hat ganze Familien auseinandergebracht, weil die Standpunkte zum Teil unvereinbar waren. Ich selbst habe im eigenen Bekanntenkreis erlebt, dass mit alten Freundinnen und Freunden wegen unserer unterschiedlichen Meinung zum Thema Impfen kein Dialog mehr möglich war.

Oft ist uns die Bedeutung von Einsamkeit als Risikofaktor noch zu wenig bewusst. Haben Sie einen Tipp speziell für Hausärztinnen und Hausärzte, um hier gegenzusteuern?

Ich finde es wichtig, Patientinnen und Patienten aktiv auf das Thema anzusprechen. Irgendwann habe ich es mir angewöhnt, neurologisch Erkrankte auch mal nach Sexualität zu fragen – da sprudeln die Menschen dann oft nur so drauflos, weil sie sich endlich trauen, darüber zu sprechen.

Und ebenso wichtig ist es, zu fragen: Wie geht es Ihnen sozial? Wünschen Sie sich da mehr? Das kostet nicht viel Zeit und eröffnet gute Ansatzpunkte für Ratschläge.

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