© Hausärztinnen- und HausärzteverbandDr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, bei der Krisensitzung in Berlin.
„An allen Ecken und Enden bröckelt es“, fasst Dr. Markus Beier, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, angesichts der Protestaktion zusammen. Als Beispiele nennt er unbesetzte Empfangstresen, Zeitknappheit im Sprechzimmer, und „jede Investition, sei es in Praxis, Mitarbeitende oder Versorgung“ sei ein „ein mühsames Hin- und Hergerechne“. „Die Lage wird sich weiter zuspitzen, wenn der ärztliche Nachwuchs abgeschreckt wird und die älteren Kolleginnen und Kollegen doch lieber in die Rente gehen als ihre Praxen für ihre Patientinnen und Patienten offen zu halten“, so Beier, der auch vor Ort war.
Damit das nicht geschieht, haben die Ärztinnen und Ärzte Lauterbach mit ihren Forderungen an zahlreiche nicht eingelöste Versprechen erinnert. Dazu gehören die im Koalitionsvertrag vorgesehene und mehrfach öffentlich versprochene Entbudgetierung für Hausärztinnen und Hausärzte, die immer wieder angekündigte Stärkung der ambulanten Versorgung sowie der Bürokratieabbau.
„Die dringend notwendige Reform unseres Gesundheitssystems, finanziell wie strukturell, bleibt die Politik schuldig, und das seit vielen Jahren“, sieht auch Hausärzte-Chef Beier. Neben einem angemessenen Kosten- und Inflationsausgleich brauche es eine „umfassende Umstrukturierung des Honorarsystems in der Regelversorgung“, beginnend bei der finanziellen Stärkung von Praxisteams bis hin zur strukturierten Reduktion vermeidbarer Arzttermine, etwa durch eine Abkehr von der Quartalslogik im Vergütungssystem, faire Strukturpauschalen und die konsequente Förderung der hausärztlichen Patientenkoordination.
Dafür sieht Beier sowohl Bundesgesundheitsministerium als auch Kostenträger und Bundesfinanzministerium in der Pflicht.
Dass auch Patientinnen und Patienten immer öfter mitbekommen, dass das Gesundheitssystem so auf Dauer nicht tragfähig ist, unterstrichen am Freitag eingespielte Video-Statements aus einer Straßenumfrage. Die Statements seien “spontan” und “nicht gestellt”, betonte KBV-VV-Vorsitzende Dr. Petra Reis-Berkowicz. Darin deutlich wurde die Sorge, dass “dieses ganze Gesundheitssystem nicht mehr funktioniert”, aber auch die Wichtigkeit der Hausarztpraxis vor Ort. So sagte eine Passantin: “Mein Allgemeinarzt muss unbedingt in der Nähe sein, damit ich kurze Wege habe, wenn es mir schlecht geht.“ Immer öfter sehe man das aber in Gefahr, so verschiedene der eingespielten Stellungnahmen aus der Bevölkerung.
7 Forderungen an Gesundheitsminister Karl Lauterbach
Konkret fordern die Praxen einen durch die KBV-Vertreterversammlung einstimmig verabschiedeten und von den anderen Anwesenden mit großem Beifall gelobten Katalog mit sieben Maßnahmen (im Wortlaut):
- Tragfähige Finanzierung: Retten Sie die Praxen aus den faktischen Minusrunden und sorgen Sie für eine tragfähige Finanzierung, die auch in der ambulanten Gesundheitsversorgung insbesondere Inflation und Kostensteigerungen unmittelbar berücksichtigt!
- Abschaffung der Budgets: Beenden Sie die Budgetierung, damit auch Praxen endlich für alle Leistungen bezahlt werden, die sie tagtäglich erbringen!
- Ambulantisierung: Setzen Sie die angekündigte Ambulantisierung jetzt um – mit gleichen Spielregeln für Krankenhäuser und Praxen!
- Sinnvolle Digitalisierung: Lösen Sie mit der Digitalisierung bestehende Versorgungsprobleme. Sorgen Sie für nutzerfreundliche und funktionstüchtige Technik sowie die entsprechende Finanzierung, und belassen Sie die datengestützte Patientensteuerung in ärztlichen und psychotherapeutischen Händen!
- Mehr Weiterbildung in Praxen: Stärken Sie die ärztliche und psychotherapeutische Weiterbildung! Diese muss – um medizinisch und technisch auf dem aktuellen Stand zu sein – schwerpunktmäßig ambulant stattfinden. Beziehen Sie auch hier die niedergelassene Vertragsärzte- und Psychotherapeutenschaft ein!
- Weniger Bürokratie: Schnüren Sie das angekündigte Bürokratieabbaupaket, damit wieder die Medizin im Vordergrund steht und nicht der „Papierkram“!
- Keine Regresse: Schaffen Sie die medizinisch unsinnigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen ab! Die Arzneimittelregresse müssen weg!
Der Forderungskatalog wurde im Nachgang an die Krisensitzung an Lauterbach übermittelt. Er soll nun bis 13. September Stellung beziehen und zu den einzelnen Punkten konkrete Gegenmaßnahmen benennen, so die Forderung der Ärzteschaft.
Aktion #PraxenKollaps
„Die Praxen in Deutschland stehen vor dem Kollaps“, fasste KBV-Vorstandsvorsitzender Gassen zusammen. Der Frust der Kolleginnen und Kollegen sei groß.
Unter dem Motto „#PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg“ haben die 17 KVen daher eine bundesweite Protestaktion gestartet. Nach einzelnen ersten Aktionen war die Krisensitzung in Berlin der vorläufige Höhepunkt der Kampagne.