“Patientinnen und Patienten mit Migräne haben im Vergleich zur Normalbevölkerung dreimal häufiger eine behandlungsbedürftige Depression oder eine Angststörung”, berichtete Dr. Axel Heinze, Kiel. Dabei besteht der Zusammenhang in beide Richtungen: Je depressiver ein Mensch ist, desto höher ist sein Risiko eine Migräne zu entwickeln [1].
Umgekehrt besteht bei Migräne-Patientinnen und Patienten ein erhöhtes Risiko für eine Depression oder eine Angststörung [2]. “Das Henne-Ei-Prinzip lässt sich hier nicht lösen”, erklärte der Neurologe. Die Komorbidität von Migräne und Depression führt nicht nur zu einer höheren funktionellen Beeinträchtigung, sie erschwert auch die Behandlung, da die Betroffenen schlechter auf Antidepressiva ansprechen.
Nicht alle Migräneprophylaktika sind geeignet
Was also tun mit den doppelt-belasteten Patientinnen und Patienten? Gemäß der aktuellen Leitlinie ist eine medikamentöse Prophylaxe indiziert, wenn eine Migräne mit besonderem Leidensdruck, eingeschränkter Lebensqualität und dem Risiko für Medikamentenübergebrauch vorliegt [3].
Zu den Migräneprophylaktika mit hoher Evidenz (belegt anhand von mindestens drei placebokontrollierten Studien) zählen die klassischen Prophylaktika wie z.B. Betablocker, Metoprolol, Topiramat und Amitriptylin sowie die monoklonalen Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor.
Für Migräne-Patientinnen und -Patienten mit Depression sind jedoch nicht alle angegebenen Medikamente geeignet. “Flunarizin geben wir lieber nicht, denn es kann depressiv machen. Für Menschen mit Depression in der Vorgeschichte ist es daher absolut kontraindiziert”, betonte Heinze. Auch Topiramat und Betablocker scheiden aus, da Depression als mögliche Nebenwirkung dokumentiert ist.
Prophylaktika bei Depression
Gut geeignet ist jedoch das altbekannte Amitriptylin, welches für Migräne und Depression zugelassen ist und sich in einer Metaanalyse als effektivstes Antidepressivum herausstellte [4]. Als gute Alternative nannte Heinze Onabotulinumtoxin A, das bei chronischer Migräne prophylaktisch wirksam ist und zusätzlich möglicherweise eine antidepressive Wirkung hat [5].
Für die Wirksamkeit von Anti-CGRP-(Rezeptor)-Antikörpern ist das vorherige Ansprechen auf Triptane ein gutes Zeichen. Als negative Prädiktoren gelten hingegen depressive Störungen und chronische (tägliche) Kopfschmerzen [6].
Allerdings führten Anti-CGRP-Medikamente in einer Real-World-Studie zu einer Verbesserung der depressiven Symptome, unabhängig von der Reduktion der Migräne [7]. Zudem erwies sich Fremanezumab in einer placebokontrollierten Studie bei Migräne-Patientinnen und -Patienten mit leichter bis mittlerer depressiven Komorbidität als wirksam – nahmen die Migränetage ab, sank auch die Depressivität [8].
Die Männer nicht vergessen
Während Männer häufig mit Clusterkopfschmerzen assoziiert werden, sind es bei der Migräne eher Frauen – insbesondere, weil sie zwei- bis dreimal häufiger betroffen sind als Männer. Am größten ist der Prävalenz-Unterschied im mittleren Lebensalter zwischen 45 und 54 Jahren.
Dass die Hormone hierbei eine wichtige Rolle spielen, belegte eine Untersuchung, in der Trans-Frauen nach einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie eine vergleichbare Migräneprävalenz aufweisen wie Cis-Frauen [9].
“Männer mit Migräne haben einen doppelten Leidensdruck – einmal durch die wiederkehrenden Kopfschmerzattacken, aber auch dadurch, dass sie als Männer unter einer Frauenerkrankung leiden und sich stigmatisiert fühlen”, erläuterte Dr. Katja Heinze-Kuhn aus Kiel.
Der Gendervergleich zeigt ein unterschiedliches klinisches Bild: Die meisten Männer haben Migräneattacken mit leichterer Intensität, eine kleinere Gruppe leidet jedoch auch unter sehr starken Schmerzen. Beachtenswert ist, dass die Migräne bei lediglich 46,2 Prozent der betroffenen Männer diagnostiziert wird, gegenüber 69,8 Prozent bei betroffenen Frauen.
Ebenso wie Frauen haben Männer mit Migräne und Aura ein höheres Langzeitrisiko für Bluthochdruck, Myokardinfarkt, ischämischen Schlaganfall, hämorrhagischen Schlaganfall sowie venöse Thromboembolien – auch wenn die Assoziationen bei Frauen etwas stärker sind als bei Männern [10]. “Das sollten wir bei der Beratung von Männern bedenken”, betonte die Neurologin.
Aufgrund der leichteren Intensität ist ein rezeptfreies Analgetikum bei Männern häufig ausreichend, eher selten ist ein Anti-CGRP-Medikation erforderlich. “Es gibt bislang keine gute Evidenz dafür, dass eine bestimmte Akutmedikation oder eine nicht-hormonelle Prophylaxe geschlechterabhängig besser oder schlechter wirken”, berichtete Heinze-Kuhn.
In einem aktuellen Review halfen Anti-CGRP-(Rezeptor)-Antikörper bei Männern und Frauen vergleichbar gut. Dagegen waren Gepante bei Männern deutlich weniger effektiv als bei Frauen [11]. “Möglicherweise benötigen Männer eine andere Dosierung”, gab Heinze-Kuhn zu bedenken und verwies darauf, dass Migräne-Studien überwiegend mit weiblichen Teilnehmerinnen durchgeführt werden.
Migräne bei Älteren
Viele Patientinnen und Patienten berichten, dass ihre Migräne mit zunehmendem Alter abnimmt, bei Frauen verringern sich die Beschwerden häufig nach den Wechseljahren. Die Attacken können dann leichter verlaufen, die Betroffenen sprechen auf gewöhnliche Schmerzmittel an und benötigen nicht mehr unbedingt ein Triptan.
Bei betagten Migräne-Patientinnen und -Patienten mit Komorbiditäten wie Bluthochdruck setzt Heinze-Kuhn gerne Betablocker oder Candesartan ein. Amitriptylin sieht die Neurologin bei Menschen mit Migräne im fortgeschrittenem Alter dagegen kritisch. Anti-CGRP-(Rezeptor)-Antikörper verordnet sie, falls erforderlich, auch über 65-Jährigen, die ihrer Erfahrung nach ebenso gut darauf ansprechen können, wie Jüngere.
Literatur
- Ashina S et al. J Headache Pain 2012; 13(8):615-624
- Giri S et al. J Headache Pain 2022; 23(1):14
- S1-Leitlinie: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. AWMF Registernr. 030-057 Stand 2022
- Cipriani A et al. Focus (Am Psychiatr Publ) 2018; 16(4):420-429
- Brin MF et al. Int Clin Psychopharmacol 2020; 35(1):19-28
- Hong JB et al. Pharmaceuticals (Basel) 2023; 16(7):934
- de Vries-Lentsch S et al. Eur J Neurol 2024; 31(2):e16106
- Lipton R et al. J Neurol Sciences 2023; 455:121661
- Pringsheim T et al. Neurology 2004; 63(3):593-594
- Adelborg K et al. BMJ 2018;360:k96
- Porreca F et al. Cephalalgia 2024; 44(3):3331024241238153
Quelle: Symposium: “Jenseits des Üblichen in der Migräneprophylaxe” anlässlich der Deutschen Schmerz- und Palliativtage 2025 in Frankfurt (Main).
