Dass Ernährungsgewohnheiten einen bedeutenden Einfluss auf Entstehung und Verlauf von Krankheiten haben, ist heute wissenschaftlicher Konsens. Und doch zeigt sich gerade hier: Studiendesigns können Schwächen haben – weshalb sich Forschungsergebnisse nicht immer eins zu eins in die Praxis übertragen lassen.
Der Zusammenhang zwischen ungünstigen Ernährungsgewohnheiten und der Entstehung von Typ-2-Diabetes ist klar belegt.
Viele wissenschaftliche Studien beschäftigen sich mit der Frage, wie sich die Ernährung auf die Entstehung, Häufigkeit und den Verlauf von Krankheiten auswirkt. Doch häufig haben Ernährungsstudien aufgrund des Studiendesigns eine limitierte Aussagekraft: Oft werden Menschen zu ihren Ernährungsgewohnheiten befragt und ihr Gesundheitszustand über Monate bis Jahre hinweg analysiert.
Solche Beobachtungsstudien haben grundsätzliche Schwächen und sind fehleranfällig: Neben Verzerrungseffekten (Bias), etwa bei den Angaben zur eigenen Ernährungsweise, können Beobachtungsstudien kein Ursache-Wirkungs-Prinzip (Kausalität) aufzeigen, sondern lediglich Korrelationen.
Allerdings können viele Störfaktoren bei ausreichender Studiengröße statistisch ausgeschlossen werden. [1,2] Somit liefern die meisten Studien, trotz studienartbedingter Limitationen, einen Erkenntniszuwachs. Mittlerweile fußen viele Empfehlungen zur Ernährung auf einer breiten wissenschaftlichen Datenlage. [3]
Beobachtung vs. Intervention
Um das Ursache-Wirkungs-Prinzip nachzuweisen, müssen hingegen Interventionsstudien durchgeführt werden.
Wie bei klassischen klinischen Studien erhöht sich die Aussagekraft mit Verblindung, Randomisierung und dem Vergleich zwischen Kontroll- und Interventionsgruppe. [1,2]
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Praxisbeispiel Typ-2-Diabetes
Welch entscheidenden Einfluss Ernährungsgewohnheiten auf Erkrankungsentstehung und -progression haben, wird am Beispiel von Diabetes mellitus Typ 2 deutlich: Früher noch als Altersdiabetes betitelt, sinkt inzwischen das durchschnittliche Alter bei der Diagnose und die Inzidenz bei Jugendlichen steigt stark. Veränderte Ernährungsgewohnheiten und weniger Bewegung werden unter anderem als ursächlich für den Prävalenzanstieg in den letzten Jahren angesehen. [4]
Der Zusammenhang zwischen ungünstigen Ernährungsgewohnheiten und der Entstehung von Typ-2-Diabetes ist klar belegt: Die ständige Verfügbarkeit einfacher Kohlenhydrate in vielen Fertiglebensmitteln und gesüßten Getränken sowie der mehrmals tägliche, mengenmäßig hohe Konsum dieser führen zu einem wiederkehrenden starken Anstieg der Plasmaglukose.
Dies erfordert eine vermehrte Insulinsekretion; in der Folge kann sich eine Insulinresistenz ausbilden, bei der die Körperzellen weniger empfindlich auf Insulin reagieren. Die insulinproduzierenden β-Zellen im Pankreas können daraufhin überlastet werden und erschöpfen.
Typ-2-Diabetes ist oft mit Übergewicht oder Adipositas, kardiovaskulären Risikofaktoren und einer chronischen Inflammation vergesellschaftet – auch diese werden durch ungünstige Ernährungsgewohnheiten negativ beeinflusst. [4,5]
Ernährung in NVL aufgenommen
Das Potenzial der Lebensstilmodifikation, insbesondere bei der Ernährung, thematisiert auch die Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes. [6]
Neben der Aufklärung über kohlenhydrathaltige Lebensmittel und ihren Effekt auf die Plasmaglukose werden hier konkrete Ernährungsempfehlungen ausgesprochen: Menschen mit Typ-2-Diabetes sollte (Empfehlungsgrad B) eine kaloriengerechte, ballaststoffreiche Ernährung empfohlen werden, die reich an Gemüse, Früchten und bestimmten pflanzlichen Fetten ist (vgl. mediterrane Ernährung, s. Kasten unten).
Merke: Die aktuelle Leitlinienempfehlung revidiert somit bisherige Empfehlungen zu einer fettreduzierten Kost bei übergewichtigen Personen mit Typ-2-Diabetes. [6]
Dass nur eine Empfehlung mit “sollte” und keine mit “soll” ausgesprochen wird, liegt an der niedrigen Aussagesicherheit der Evidenz. So werden unter anderem Verzerrungseffekte und Inkonsistenzen in den Studiendaten als Grund genannt. Die heterogenen Studiendaten (Studienpopulation, Intervention, Endpunkte) zeigen teilweise signifikante Vorteile einer mediterranen Ernährung, die durch eine zusätzliche Aufnahme von pflanzlichen Fetten (Olivenöl, Nüsse) gekennzeichnet ist, gegenüber einer fettreduzierten Ernährung.
So wurden in einer Studie mit Patientinnen und Patienten, die kardiovaskuläre Risikofaktoren hatten (knapp 50 Prozent davon Diabetes), weniger Myokardinfarkte und kardiovaskulär bedingte Todesfälle registriert. Zudem mussten weniger Diabeteserkrankte eine glukosesenkende Therapie beginnen. [6,7]
Individuellen Rahmen beachten
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) spricht in ihren Praxisempfehlungen viele konkrete Empfehlungen zur Ernährung aus, die über diejenigen der Leitlinie weit hinausgehen (s. Tab. 1 unten). [8]
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