Einsamkeit im AlterEndstation Einsamkeit

Hausärzte treffen sie häufig: die einsamen Alten. Ihnen zu helfen, ist schwierig. Doch es kann gelingen.

Einsamkeit im Alter nimmt zu, wird aber oft übersehen (Symbolbild).

Kurz vor Weihnachten öffnen Polizisten die Wohnung von Thea Roth*. Die 81-Jährige liegt langgestreckt auf den weißen Fliesen ihres Badezimmerbodens – tot. Auf dem Küchentisch findet ein Polizist ihren schwarzen, abgegriffenen Buchkalender. Theas altmodische Handschrift füllt jede Seite. Sie schreibt über das Wetter, ihre Erkältung, den Geruch im Treppenhaus. Oft beobachtet sie ihre Nachbarn durchs Fenster. Selten geht sie zum Supermarkt oder in die Apotheke. Es geschieht nicht viel in Thea Roths Leben. “Ich fühle mich so einsam. Besonders wenn es regnet”, schreibt sie im Oktober 2019. Am 6. Dezember enden ihre Einträge. Doch dass Thea nicht mehr lebt, fällt erst der Apothekerin auf, als sie ihre bestellten Tabletten nicht abholt.

Alt und einsam: So ergeht es nicht nur Thea Roth. In Deutschland leben immer mehr Menschen allein. Im Jahr 2018 wohnte laut statistischem Bundesamt in 42 Prozent aller Haushalte nur eine Person, etwa 35 Prozent der Alleinlebenden waren 65 oder älter. Generationsübergreifendes Zusammenleben ist selten geworden. Je älter Menschen werden, desto häufiger sterben Freunde und Bekannte, das Haus zu verlassen fällt zunehmend schwerer. Wie häufig Einsamkeit bei über 80-Jährigen ist, haben Wissenschaftlerinnen der Ruhr-Universität Bochum anhand Daten des sozioökonomischen Panels untersucht: Von 863 im Jahr 2013 befragten Senioren fühlten sich fünf Prozent oft oder sehr oft einsam, 13 Prozent fühlten sich manchmal einsam.[1]

“Einsamkeit im Alter nimmt zu – und wird häufig übersehen”, sagt Prof. Arno Deister, Past President der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde und Direktor des Zentrums für psychosoziale Medizin am Klinikum Itzehoe. Dabei kann Einsamkeit krank machen. “Einsamkeit im Alter ist purer Stress. Mögliche Folgen sind Depressionen bis hin zum Selbstmord, aber auch psychosomatische Beschwerden, etwa Schmerzen oder das Broken-Heart-Syndrom”. So auch Thea: “Schmerzen, schwach, müde” notiert sie beinahe täglich in ihrem Buchkalender.

Was hilft den Betroffenen?

“Am wichtigsten ist es, die Einsamkeit wahrzunehmen und zum Thema zu machen”, erklärt Deister. “Das erfordert zunächst, sich mit dem Patienten und seiner Lebenssituation zu befassen. Dabei gilt es, zu unterscheiden: Ist der Betroffene nur alleine oder auch einsam? Für einsame ältere Menschen gibt es viele Angebote (s. Tab.). Der Hausarzt kann hier die Weichen stellen, indem er seine Patienten berät.” Wobei das im Praxisalltag viel Zeit kostet.

Einfach mal reden

Laut Deister ist es wesentlich, Struktur in den Alltag der Menschen zu bringen, etwa mit regelmäßigen Terminen. Einsam sein hänge manchmal mit Altersarmut zusammen – auch hier helfe Beratung. Manchmal gelinge es, den Betroffenen die sozialen Medien näherzubringen. “Alten Menschen aus der Einsamkeit zu helfen, ist eine kommunikative Aufgabe – eigentlich eine zentrale ärztliche Aufgabe, die unser Gesundheitssystem leider nicht fördert”.

Kommunikation – darum geht es auch bei Silbernetz. “Einfach mal reden” ist das Motto des Silbernetz-Telefons – ein Hilfs- und Kontaktangebot, das sich an ältere Menschen richtet. Die kostenfreie Rufnummer war zunächst nur aus Berlin zu erreichen. “Wir erhielten aber Anfragen aus ganz Deutschland”, sagt Gründerin Elke Schilling. Im März 2020 hat das Silbernetz-Team wegen der Corona-Krise entschieden, das Telefon bundesweit verfügbar zu machen. 80 Prozent der Anrufer leben alleine, etwa drei Viertel sind Frauen.

Doch die Mitarbeiter von Silbernetz reden nicht nur – sie vermitteln auch Kontakte zu regionalen Angeboten, zum Beispiel Trauergruppen oder Mobilitätshilfediensten. Laut Schilling wissen viele Betroffene nicht, dass die Hilfsangebote existieren. Die Silbernetz-Flyer liegen auch in Hausarztpraxen der Umgebung aus. “Diese Ärzte empfinden uns als Unterstützung. Viele Menschen kommen zu ihnen, um zu reden; den Ärzten fehlt jedoch die Zeit. Sie können den Patienten dann unseren Flyer in die Hand drücken.”

Vorurteile überwinden

Die Flyer regionaler Hilfsangebote verteilt auch der Hausarzt Dr. Hannes Blankenfeld. In seine Praxis in München kommen viele ältere Patienten, die einsam sind. Oft erkennt er das Problem schon bei der Sozialanamnese. Eine Ursache sieht Blankenfeld in den veränderten Familienstrukturen: “Selbst wenn Kinder da sind, leben diese oft weit weg – oder haben keine Zeit.” Er hat eine Liste mit Hilfsdiensten zusammengestellt, wendet sich aber auch an den sozial- oder gerontopsychiatrischen Dienst, wenn es erforderlich ist. Insgesamt erlebt er das Thema jedoch als sehr schwierig. Oft stoße er bei den alten Menschen auf Widerstand. Viele seien schwer dazu zu motivieren, Hilfsangebote zu nutzen; Angst spiele eine große Rolle. “Einsamkeit im Alter hängt auch mit der Persönlichkeitsstruktur zusammen. Wer immer schon wenig aktiv und sozial eingebunden war, schafft das auch im Alter nicht”, sagt Blankenfeld. Auch Thea Roth wurde Unterstützung angeboten: Eine lokale Seniorengruppe lud sie ein, an ihren Treffen teilzunehmen – Thea lehnte ab.

Laut Silbernetz-Gründerin Schilling spielen hier häufig Vorurteile eine Rolle. “Viele Menschen denken, bei Seniorentreffs wird nur Bingo gespielt und über Krankheiten gesprochen. Dabei bieten solche Orte vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten.” Die Hemmungen dieser Menschen zu überwinden, braucht Zeit – die der Hausarzt so gut wie nie hat. Als mögliche Lösung nennt Schilling ein Projekt des Vereins “soziale Gesundheit e.V.” im Berliner Bezirk Lichtenberg. Der Verein bietet soziale Beratung in Hausarztpraxen an – und entlastet damit die kooperierenden Ärzte.

Hilfsdienste beleben das Leben

Dass Hilfsdienste alten Menschen zu einem aktiveren Leben verhelfen können, zeigt Helga Malessa. Die 82-jährige Münchnerin lebt allein. “2010 habe ich zum ersten Mal die Nummer der Malteser gewählt”, berichtet die zierliche Dame mit den kurzen grauen Haaren zunächst schüchtern. Seitdem besucht sie einmal wöchentlich der Ehrenamtliche Georg Kreitl. Je mehr sie von ihren dreistündigen Treffen erzählt, desto mehr sprudeln die Worte aus ihr heraus. Sie gehen gemeinsam ins Kino, schlürfen Kaffee oder Tee in einem Café oder lassen sich Brezn und Käse im Biergarten schmecken. Helga Malessa freut sich auf jeden Besuch: “Er ist der Beste.”

Auch die Seniorentreffs der Malteser nutzt sie regelmäßig. Ein Fahrdienst holt die älteren Menschen zu Hause ab und bringt sie danach zurück. Aus ihrer Kommode zieht sie Fotos hervor. Auf einem sitzt sie inmitten der Malteser-Mitarbeiter und feiert Nikolaus. Ihre Augen strahlen. “Bei einem der Treffen habe ich vor Jahren eine neue Freundin gefunden.” Beide sind im gleichen Alter und unternehmen seitdem öfter Tagesausflüge. “Ich brauche immer Menschen um mich herum”, sagt sie. “Ich bin nicht gerne allein.” Zurzeit ist sie das nur noch selten.

 

* Name geändert

Literatur

[1]: Luhmann M., Bücker S.: Einsamkeit und soziale Isolation im hohen Alter, 2019.

 

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