Mythen gibt es in allen medizinischen Bereichen. Die Urologie erweist sich bei der Suche danach jedoch als wahres Pfrund. Das mag an der in sich ruhenden Seele unserer Fachgruppe liegen.
Vielleicht liegt es auch an der nach wie vor hierarchischen Struktur unseres Gesundheitssystems, in dem eine kritische Frage an die Vorgesetzten karriererelevant sein könnte und folglich vermieden wird, was wiederum der Nährboden dafür ist, dass gewisse Dinge einfach nicht aus den Köpfen gehen.
Viele Mythen sind eher Aperçus, die zwar possierlich zu erzählen sind, aber keinerlei weitere Konsequenzen nach sich ziehen. Ein Beispiel aus der urologischen Anatomie finden Sie im Kasten unten.
Anders sieht es allerdings bei einer aktuellen Änderung in der Urologie aus: Diese wird sich wahrscheinlich nicht so schnell durchsetzen. Stattdessen wird die bisherige Vorgehensweise als Mythos Bestand haben, weil sie in der GOÄ gelistet und somit abrechenbar ist.
Digital rektale Untersuchung: Sinnvoll oder nicht?
Es handelt sich um ein bisheriges Herzstück der urologischen Vorsorgeuntersuchung: die digital-rektale Untersuchung (DRU). Sie gehört neben dem PSA-Wert und dem transrektalen Ultraschall zur Trias des Prostatakrebsscreenings.
Aber sie ist der wesentliche Grund, weswegen Männer so ungern zur Vorsorgeuntersuchung gehen. Und dabei ist ihre Lebenserwartung mit 78,2 Jahren ohnehin schon fünf Jahre geringer als bei Frauen. Wir wissen, dass jeder dritte 60-jährige Mann nicht 70 wird und jeder zweite 70-Jährige seinen 80. Geburtstag nicht erleben wird.
Und das Risiko, an einem Prostatakarzinom zu sterben, spielt hierbei eine ganz wesentliche Rolle. Die DRU scheint in einer Risiko-Nutzen-Abwägung dabei so relevant zu sein, dass nur 14 Prozent aller Männer überhaupt zu einer Vorsorgeuntersuchung gehen.
Nun ist in Deutschland 2014 die PROBASE-Studie initiiert worden. Hinter diesem Akronym verbirgt sich folgende Erklärung: “Risk-adapted prostate cancer early detection study based on a “baseline” PSA value in young men – a prospective multicenter randomized trial”.
Als Nebenprodukt der PROBASE-Studie zeigte sich, dass eine DRU als alleinige Untersuchung asymptomatischer Männer im Alter von 45 Jahren nicht sinnvoll ist. In diesem Teil der PROBASE-Studie wurde eine prospektive Analyse von 57 Männern im Alter von 45 Jahren mit verdächtiger DRU vorgenommen. Nur drei davon hatten letztendlich ein Prostatakarzinom.
Die Erkennungsrate durch eine DRU lag in der Gesamtkohorte bei nur 0,05 Prozent (3/6.537 Teilnehmern), verglichen mit einer vierfach höheren Rate von 0,21 Prozent beim PSA-Screnning (48/23.301 Teilnehmern).
Mindestens so relevant ist es aber, dass von den Prostatakarzinom-Fällen, die durch ein PSA-Screening aufgefallen sind, 86 Prozent eine unauffällige DRU aufwiesen (die Sensitivität im Vergleich zum PSA-Wert betrug 14 Prozent). Es besteht somit eine große Gefahr, dass sich Männer mit einer negativen DRU in falscher Sicherheit wiegen könnten.
Es ist also in Ordnung, wenn man auf eine DRU verzichtet, insbesondere wenn man dadurch mehr Männer zu einer Vorsorgeuntersuchung bringen kann.
PSA-Screening: Längeres Intervall reicht
Zum Abschluss ein kurzer Ausflug zur Bedeutung des PSA-Werts. Er ist wegen des potenziellen Schadens durch Überdiagnostik und Übertherapie zwar umstritten (s. www.hausarzt.link/dAxVL), jedoch fester Bestand der urologischen Vorsorgeuntersuchung.
Es ist aber ein Mythos zu behaupten, dass er jährlich oder gar in noch kürzeren Abständen bei Vorsorgeuntersuchungen bestimmt werden muss. Im Gegenteil: Für 40- bis 70-jährige Männer empfiehlt die DGU (Deutsche Gesellschaft für Urologie) Folgendes:
- PSA < 1,5 →Kontrolle in 5 Jahren
- PSA 1,5-3 →Kontrolle in 2 Jahren
- PSA > 3 →weitere Abklärung (bei bestätigtem Wert)
Fazit
- Alles hinterfragen!
- Auf die digital-rektale Untersuchung kann verzichtet werden.
- Das PSA-Screening ist nicht jährlich nötig. Die empfohlenen Kontrollintervalle hängen vom Testergebnis ab.
Der Autor erklärt, dass bei ihm in Bezug auf diesen Beitrag keine Interessenkonflikte bestehen.
Literatur beim Verfasser.