Herausforderung Kreuzschmerzen
Weltweit leiden über 1,5 Mrd. Menschen unter chronischen Schmerzen – mehr als unter Diabetes, Herzerkrankungen und Krebs zusammen. An vorderster Stelle stehen chronische Rückenschmerzen mit 61 Prozent, gefolgt von Arthroseschmerz mit 28 Prozent und Osteoporoseschmerz mit 13 Prozent.
Auch Dazu kommen gravierende Komorbiditäten wie Schlafstörungen, Depressionen und die Einschränkungen der physischen Funktionalität. Zur medikamentösen Behandlung werden mangels Alternativen vor allem Opioide eingesetzt – doch davon profitieren nur etwa 30 Prozent im Sinne einer langfristigen Schmerzreduktion. Es besteht daher dringender Bedarf für neue Analgetika. (Prof. Ralf Baron, Kiel)bei der Krankheitslast sind Schmerzen im unteren Rücken führend vor Kopfschmerzen.
Mögliche neue Therapieoptionen
Für Rückenschmerz-Geplagte könnte bald eine neue medikamentöse Therapiemöglichkeit verfügbar sein. Der Cannabis-Vollspektrumextrakt (VER-01) steht vor der europaweiten Zulassung und könnte eine Alternative zur Opioid-Therapie darstellen. Aktuelle Phase-III-Studien belegen nicht nur die Überlegenheit gegenüber Placebo sondern auch gegenüber Opioiden.
In einer placebokontrollierten Phase-III-Studie reduzierte die Monotherapie mit VER-01 chronische Rückenschmerzen signifikant deutlicher und über 44 Wochen anhaltender als Placebo.
Im Vergleich zu Opioiden (Tramadol, Tapentadol und andere) zeigte die Head-to-Head-Studie ELEVATE ebenfalls eine bessere Schmerzlinderung, aber auch Vorteile hinsichtlich der Verträglichkeit wie etwa Obstipation. Eine Dosissteigerung von VER-01 war nach der Titration nicht erforderlich. Der Extrakt wurde gut vertragen, es fanden sich keine Anhaltspunkte für eine Abhängigkeit.
Suzetrigin, ein Schmerzmittel mit neuem Wirkprinzip wurde Anfang dieses Jahres in den USA für moderate bis starke akute Schmerzen zugelassen. Der selektive Inhibitor des spannungsabhängigen Natriumkanals NaV1.8. erwies sich in zwei Phase-III-Studien bei Patientinnen und Patienten mit postoperativen Schmerzen als signifikant wirksamer als Placebo.
Gegenüber Opioiden war die Linderung akuter Schmerzen vergleichbar gut. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten nicht auf, häufig waren Juckreiz, Muskelkrämpfe, Anstieg des Kreatinkinase-Werts und Hautausschlag. Ein Abhängigkeitspotenzial scheint nicht vorhanden. Derzeit ist Suzetrigin nur in den USA zugelassen, bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) wurde noch kein Zulassungsantrag eingereicht. (Prof. Thomas Herdegen, Kiel; Prof. Heike Rittner Würzburg)
Innovative Migräne-Therapien
Zur Behandlung akuter Migräneschmerzen werden insbesondere Triptane eingesetzt. Dabei zeigt Eletriptan die höchste Wirksamkeit, vor Rizatriptan und Sumatriptan.
Neu sind die Wirkstoffe Lasmiditan und Rimegepant. Lasmiditan ist ein Serotonin-1F-Agonist, der nicht vasokonstriktiv wirkt und daher gut einsetzbar ist bei Patientinnen und Patienten mit kardiovaskulären Kontraindikationen gegen Triptane.
Cave: Es können zentrale Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Schwindel auftreten.
Der orale CGRP-Rezeptorantagonist Rimegepant ist seit Mitte des Jahres in Deutschland erhältlich und sowohl zur Akuttherapie wie auch zur Prophylaxe zugelassen. In der akuten Anwendung erwies sich Rimegepant als gut verträglich; seine Effektstärke war im indirekten Vergleich mit Triptanen jedoch geringer. In der Prophylaxe war Rimegepant vergleichbar wirksam wie Galcanezumab.
Ein weiterer neuer CGRP-Rezeptorantagonist ist Atogepant, der sowohl in der Prophylaxe der episodischen Migräne als auch bei chronischer Migräne wirksam ist.
Eine wichtige neue Erkenntnis ist, dass etwa die Hälfte der Menschen, die innerhalb der ersten zwölf Wochen nicht auf einen CGRP-Antikörper oder den CGRP-Rezeptor-Antikörer ansprechen, im weiteren Verlauf doch noch eine ausreichende Besserung erreichten. Bei Clusterkopfschmerzen sind CGRP-Antikörper, laut einer aktuellen Studie mit Erenumab, nicht prophylaktisch wirksam. (PD Dr. Lars Neeb, Brandenburg an der Havel)
Selbstmitgefühl therapeutisch nutzen
Einer Studie zufolge, haben 80 Prozent der Schmerz-Patientinnen und -Patienten mehr Mitgefühl für andere als für sich selbst! Während die Betroffenen andere Schmerzleidende bedauern, sind sie schnell dabei, sich selbst dafür zu verurteilen.
Dabei würde ein wenig Selbstmitgefühl guttun. Wie Untersuchungen zeigen, hat es positive Auswirkungen, netter zu sich selbst zu sein. Auch sich selbst mal zu umarmen oder die Hand aufs Herz zu legen, kann man empfehlen, da es mit positiven Veränderungen im Gehirn einhergeht.
Selbstmitgefühl setzt sich zusammen aus Selbstfreundlichkeit, menschlicher Verbundenheit und Achtsamkeit – und ist nicht zu verwechseln mit Selbstmitleid, bei dem das Gefühl dominiert, sich aufgrund der Schmerzen unfair behandelt zu fühlen. (Dr. Thomas Dresler, Tübingen)
Neues Migräne-Versorgungskonzept
Mit dem Ziel, die Versorgung der Migräne-Patientinnen und -Patienten zu verbessern, wird derzeit das Projekt MIGRA-MD (strukturierte fachärztliche Migräneversorgung – multimodal und digital) entwickelt und umgesetzt. Ein wichtiger Baustein ist die digitalisierte Dokumentation: Die Daten digitaler Kopfschmerzkalender und Kopfschmerzfragebogen werden im Arztportal für den Behandelnden zusammengeführt und können als Ausgangspunkt für Anamnese und Verlaufsbeurteilung dienen.
Zusätzlich soll es ein “Edukationsportal” geben, das die Betroffenen anhand von Expertenvideos über die Erkrankung und ihre Behandlungsmöglichkeiten aufklärt. Dabei liegt der Fokus darauf, die Betroffenen zu motivieren, auch nicht-medikamentöse Strategien zu nutzen. Fallen die Ergebnisse der abschließenden Studie positiv aus, könnte die neue Versorgungsform in die Regelversorgung überführt werden. (PD Dr. Ruth Ruscheweyh, München)
