Bei vielen Patientinnen und Patienten ist eine Multimedikation (auch Polymedikation oder Polypharmazie genannt) unvermeidbar, birgt jedoch erhebliche Risiken. [1] So kann jedes neu verordnete Arzneimittel das Risiko für das Auftreten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) steigern und zu Verordnungskaskaden, Einnahmefehlern oder Arzneimittelinteraktionen führen. Unter einer Multimedikation kommt es zu vermehrten stationären Behandlungen.
Etwa 6,5 Prozent aller Krankenhauseinweisungen erfolgen aufgrund von UAW, die in bis zu 80 Prozent der Fälle als schwerwiegend beurteilt werden. [2]
Praxis-Tipp: Empfehlungen zum Umgang mit Multimedikation bei Erwachsenen und geriatrischen Patientinnen und Patienten finden Hausärztinnen und Hausärzte in der hausärztlichen S3-Leitlinie “Multimedikation” der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM): www.hausarzt.link/ZGIPo
Grundlage einer rationalen Pharmakotherapie ist die genaue Kenntnis der individuellen Medikation. Die Frage, welche Arzneimittel, aber auch welche Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden, ist von hoher Relevanz. Die in der elektronischen Patientenakte (ePA) gespeicherten Daten können, wenn sie vollständig vorliegen, dabei helfen, sich ein umfassendes Bild der Medikation zu verschaffen (s. Exkurs). Dies kann etwa beim Erkennen von Wechselwirkungen oder Doppelverordnungen helfen und die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöhen.
Was sagen die KV-Regeln zur Wirtschaftlichkeit?
Regionale Prüfvereinbarungen regeln, wie die Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Arzneimitteln in den einzelnen KV-Regionen ablaufen. Daneben werden Arzneimittelvereinbarungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen auf Landesebene abgeschlossen. Sie treffen jahresbezogen Regelungen zum Ausgabenvolumen und zu Wirtschaftlichkeitszielen für die Arzneimittelversorgung. In vielen Arzneimittelvereinbarungen finden sich auch Hinweise zur wirtschaftlichen Verordnung bei Multimedikation.
Wichtig in der Praxis: In der Regel wird ab fünf eingenommenen Wirkstoffen von Multimedikation gesprochen.
In den Arzneimittelvereinbarungen für 2025 von Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland findet sich beispielsweise ein Hinweis darauf, dass Verordnungen für Patientinnen und Patienten, die dauerhaft fünf oder mehr Wirkstoffe erhalten, kritisch zu überprüfen und die Empfehlungen der Fachgesellschaften zu beachten sind.
In Thüringen wird in der Vereinbarung darauf hingewiesen, dass insbesondere bei älteren Patientinnen und Patienten eine potenziell inadäquate Medikation vermieden werden soll und das Vorliegen der Indikation bei einer dauerhaften Therapie regelmäßig zu kontrollieren ist.
In Baden-Württemberg wird empfohlen, bei diesen Patientinnen und Patienten regelhaft eine umfassende und kritische Medikationsbewertung vorzunehmen. Dabei sollen folgende Punkte berücksichtigt werden:
- Indikation
- Kontraindikationen
- Wirkstoffauswahl
- Dosierung
- Interaktionspotenzial
- korrekte Anwendung
- erforderliches Monitoring
- Therapieprobleme
- neu aufgetretene Erkrankungen und Komplikationen
Auch die persönlichen Ziele und Prioritäten der Patientinnen und Patienten sollten Beachtung finden.
Praxis-Tipp: Eine Übersicht über die aktuellen Prüfmethoden in den jeweiligen KV-Regionen sowie weiterführende Links zu den Arzneimittel-, Wirkstoff- und Prüfvereinbarungen der Kassenärztlichen Vereinigungen finden Sie auf dem DeutschenArztPortal unter www.hausarzt.link/btS2k
Durch das Rezept ist die Praxis schließlich mit der Apotheke verbunden. In verschiedenen Ländern sind Medikationsprüfungen in unterschiedlichen Settings, oft auch gemeinsam mit Apothekerinnen und Apothekern, etabliert. Die Evidenz aus Einzelstudien aus anderen Ländern liefert Hinweise, dass integrierte Versorgungsmodelle mit Beteiligung von öffentlichen Apotheken positive Effekte auf patientenrelevante Outcomes haben können. [2]
