Um sein Medizinstudium in Leipzig zu finanzieren, übersetzte Samuel Hahnemann (1755-1843) medizinische Werke, unter anderen ein Standardwerk des schottischen Arztes William Cullen (1710 -1790). Darin erklärte der die Wirkung der Chinarinde gegen Malaria mit der Stärkung des Verdauungstrakts. Hahnemann fand das nicht überzeugend, und er kam auf die Idee,
die Wirkung der Chinarinde am eigenen gesunden Körper zu überprüfen. Akribisch notierte er, was passierte: “Ich nahm des Versuchs halber etliche Tage zweimal täglich jedesmahl vier Quentchen gute China ein; die Füße, die Fingerspitzen usw. wurden mir erst kalt, ich ward matt und schläfrig, dann fing mir das Herz an zu klopfen, mein Puls ward hart und geschwind; eine unleidliche Ängstlichkeit, ein Zittern (aber ohne Schauder)…”
Die im Selbstversuch beobachteten Symptome waren genau die der Malaria, bei der die Chinarinde als Heilmittel erfolgreich war. “Dieser Paroxysmus dauerte zwei bis drei Stunden jedesmahl, und erneuerte sich, wenn ich diese Gabe wiederholte, sonst nicht. Ich hörte auf, und ich ward gesund.” Damit stand für Hahnemann fest: Ein Heilmittel wirke dann, wenn es ähnliche Symptome auslöst wie die Krankheit selbst. Dieses Prinzip, Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen, ist bekanntlich die Grundlage der von Hahnemann entwickelten Homöopathie, mit der er sich gegen die herrschende medizinische Lehre stellte.
Zu allen Zeiten hat es Gegenströmungen zur jeweiligen “Mainstream-Medizin” gegeben. Oft haben sie die zu diesem Zeitpunkt vorherrschende Medizin beeinflusst, haben die Lehrmeinung für Neues geöffnet und sind sogar übernommen worden. Im 19. Jahrhundert war man besonders für sogenannte Außenseiteransätze aufgeschlossen, und es wurden einige alternative Heilverfahren entwickelt, die noch heute etabliert sind – teilweise umstritten, teilweise inzwischen aber auch in die Schulmedizin integriert.
Der homöopathische Ansatz
Diese neuen Theorien stützten sich auf die Lehre von der Lebenskraft, die der Berliner Arzt Wilhelm Hufeland (1762-1836) zum Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt hatte.
Lebenskraft ist für ihn die Grundlage alles Lebendigen. Sie wohne dem Organismus als innerstes Erhaltungsprinzip inne. Hufeland plädierte dafür, dass Ärzte die Heilkraft der Natur nutzten, um die Lebenskraft zu unterstützen.
Diese Idee der Lebenskraft war genau das richtige Konzept für alle, die damals mit der Schulmedizin unzufrieden waren und neue Wege suchten. Einer von ihnen war Hahnemann. Für ihn galt, dass Krankheit aus einer “Affektion” der Lebenskraft durch krankmachende Reize entsteht. Resultat ist allerdings nicht eine bestimmte und bei jedem Patienten gleiche Symptomatik, denn die Lebenskraft ist ja nicht an ein bestimmtes Organ oder einen Ort im Körper gebunden. Krankheit ist demnach immer ein ganzheitliches Phänomen. Und Krankheiten können sich bei jedem Patienten anders äußern. Mit dieser Theorie stand Hahnemann nicht alleine da. Worin sich seine Lehre aber von allen anderen unterscheidet, ist der Einsatz von Medikamenten: Nicht ein gegen die Krankheit gerichteter, also allopathischer Reiz (“contraria contrariis”) im schulmedizinischen Sinn sei hilfreich, sondern ein Reiz, der dem krankmachenden ähnlich ist (“similia similibus”), eben ein homöopathischer. Nur dieser stimuliere Selbstheilungskräfte und Abwehrmaßnahmen des Körpers in dem Maße, dass der Patient gesund wird.
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts stieß die Homöopathie auf große Resonanz. Die Anhängerschaft wuchs schnell. Die Lehre verbreitete sich in der ganzen Welt. Noch heute gehört die Homöopathie zu den populärsten alternativen Heilmethoden.
Naturheilkundliche Verfahren
Eine andere alternativmedizinische Richtung entstand zur gleichen Zeit wie die Homöopathie: die Naturheilkunde. Auch deren Vertreter kritisierten den allopathischen Ansatz der Schulmedizin. Und auch sie fußten auf Hufelands Lehre von der Lebenskraft. Ihre Forderung war: zurück zur Natur. Natürlich hat es Naturmedizin immer gegeben, aber im 19. Jahrhundert wurde sie zu einem umfassenden Therapiekomplex entwickelt. Von Anfang an entstanden unter dem Dach der Naturheilkunde viele medizinische Richtungen: von der Phytotherapie zur Bewegungstherapie, von der Ordnungstherapie zur Ernährungstherapie.
Doch schon die frühen Theoretiker setzten vor allem auf Wasserkuren, die Giftstoffe aus dem Körper ausscheiden und die Selbstheilungskräfte stimulieren sollten. Die Hydrotherapie wurde aber erst richtig populär durch das Wirken von Vinzenz Prießnitz (1799 -1851) und vor allem des Pfarrers Sebastian Kneipp (1821-1897).
Beide betrieben Natur- und Wasserheilanstalten, die teilweise noch heute frequentiert werden. Prießnitz, ein Landwirt und Naturheiler, war ein ideologisch strenger Methodiker der Naturheilkunde. Er lehnte Arzneien ab. Kneipp dagegen war eher pragmatisch. Wenn nötig, hatte er keine Einwände gegen natürliche Arzneimittel – zusätzlich zu den von ihm propagierten, ausgeklügelten Wasseranwendungen. Gerade die Naturheilkunde nach Kneipp hat über die Jahrhunderte nichts von ihrer Beliebtheit eingebüßt.
Überhaupt sind alternative Heilmethoden heutzutage sehr gefragt. 75 Prozent der Deutschen wünschen sich eine integrative Medizin. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage aus dem vergangenen Jahr. Über 1.000 Menschen in Deutschland waren im Auftrag der DHU befragt worden. Die meisten Patienten möchten demnach, dass die Schulmedizin um alternative Therapien wie Homöopathie und Naturmedizin ergänzt wird.
Quellen u.a.:
Armstrong, Ursula: “Homöopathie. Ein praktischer Leitfaden”. 2. Auflage 2008
Eckart, Wolfgang: “Geschichte der Medizin”, Springer-Lehrbuch.
Kantar TNS: “Studie zur Einstellung der Deutschen zu medizinischen Therapieformen und Arzneimitteln”. 2018