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Mit Diabetes am Steuer„Es ist Zeit, alte Regeln zu überdenken“

Moderne Therapie und Technik erhöhen die Sicherheit von Menschen mit Diabetes im Straßenverkehr deutlich. Bei der Vorstellung der aktualisierten Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ forderten Experten daher, überholte Annahmen zu korrigieren und pauschale Vorverurteilungen von Menschen mit Diabetes zu vermeiden.

Das Risiko für Unfälle aufgrund von Hypoglykämien hat sich in den letzten Jahren deutlich reduziert.

Berlin. Der Ausschuss „Soziales“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) hat die S2e-Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ aktualisiert. Seit dem Erscheinen der ersten Leitlinienfassung im Jahr 2017 habe sich das Risiko für Unfälle und Beeinträchtigungen der Fahrtauglichkeit aufgrund von Hypoglykämien deutlich reduziert, erklärte der hausärztliche Diabetologe und Leitlinien-Mitautor Dr. Friedrich W. Petry bei einer DDG-Pressekonferenz am Montag (8.12.). Dies sei vor allem auf drei Faktoren zurückzuführen:

  1. Menschen mit Typ-2-Diabetes mit einer Therapie ohne Insulin nehmen mittlerweile überwiegend Medikamente ein, die mit keinem Hypoglykämierisiko assoziiert sind.
  2. Inzwischen erfolgt das Glukose-Monitoring bei Menschen mit Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes mit einer intensivierten Insulintherapie bzw. Insulinpumpentherapie überwiegend mit einem CGM-System, das mit integrierten Warnfunktionen vor Unterzuckerungen ausgestattet ist. Zudem wenden Menschen mit Typ-1-Diabetes zunehmend automatisierte Insulindosiersysteme an, mit deren Hilfe mögliche Situationen mit erniedrigten Zuckerwerten automatisch detektiert werden und der Algorithmus automatisch die Insulinzufuhr reduziert.
  3. Schulungsprogramme für Menschen mit insulinpflichtigem Diabetes zum verbesserten Umgang mit Unterzuckerungen (vor allem bei Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörungen) stehen im Rahmen der DMP-Programme nun flächendeckend zur Verfügung.

Hypoglykämie weiterhin größtes Risiko

„Menschen mit Diabetes sind grundsätzlich fahrtauglich“, betonte Petry. Eine Unterzuckerung bleibe zwar das größte Risiko im Straßenverkehr, Kompensationsmaßnahmen könnten es jedoch deutlich reduzieren. Als mögliche Kompensationsmaßnahmen nannte er neben moderner Diabetestechnik, Medikamenten ohne Unterzuckerungsrisiko und Schulungen zum Beispiel auch langjährige Erfahrung als Kraftfahrende, die Persönlichkeitsstruktur und einen reflektierten Umgang mit der Erkrankung. Das Risiko von Autounfällen sei bei Menschen mit Diabetes nur leicht erhöht, vor allem im Vergleich zu anderen Erkrankungen, die das Unfallrisiko wesentlich stärker steigern – zum Beispiel ADHS oder obstruktive Schlafapnoe.

Petry wies auf die Empfehlungen für Kraftfahrende mit Diabetes und Unterzuckerungsrisiko hin, die sich im Anhang G der Leitlinie finden: „Diese sollten die Betroffenen kennen und sich danach verhalten.“

Demnach sollten Ärztinnen und Ärzte sowie Diabetesteams auf besondere Risiken für Menschen mit Diabetes im Straßenverkehr hinweisen. Die Empfehlungen für Kraftfahrende mit Diabetes und Unterzuckerungsrisiko in der Leitlinie (u. a. das Einhalten eines persönlichen Glukosezielbereichs vor Fahrtantritt, s. Kasten unten) sollten eingehend besprochen und die Beratung von Betroffenen schriftlich bestätigt werden. Außerdem sei das Thema im Rahmen der modernen Schulungsprogramme ausführlich zu behandeln.

Weitere Erkrankungen und Kontexfaktoren beachten

Im Gegensatz zu Unterzuckerungen hätten erhöhte und auch deutlich erhöhte Zuckerwerte allein aktuell keinen nachgewiesenen Einfluss auf die Fahrsicherheit und Fahreignung, so Petry. Nur wenn Konzentration, Reaktion und Aufmerksamkeit beeinträchtigt sind, sei die Fahrsicherheit gefährdet; ebenso bei Stoffwechselentgleisung und Ketoazidose sowie dem Auftreten von Sehstörungen bei schneller Blutzuckersenkung, längerer Erhöhung oder bei Erstmanifestation.

Zudem könnten Begleit- und Folgekrankheiten wie kardiovaskuläre Erkrankungen, das diabetisches Fußsyndrom, eine Retinopathie und bei Typ-2-Diabetes besonders das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom die Fahreignung erheblich beeinflussen. Eine passagere oder dauerhafte Einschränkung der Fahreignung sei auch durch Kontextfaktoren möglich (zum Beispiel Umgebung, soziale Faktoren oder Stress).

Alte Regeln überdenken

Durch die aktualisierte Leitlinie rückt neben der Fahrsicherheit auch die berufliche Teilhabe von Menschen mit Diabetes in den Mittelpunkt. Leitlinienkoordinator Dr. Wolfgang Wagener kritisierte, dass viele Vorschriften, die Menschen mit Diabetes vom Zugang zu bestimmten Tätigkeiten ausschließen (wie bei der Polizei, der Feuerwehr oder im Flug- oder Schifffahrtsverkehr), auf überholten Einschätzungen basieren.

Heute ermögliche die moderne Diabetologie ein hohes Maß an Kontrolle, Steuerung und Sicherheit im Arbeitsalltag. Immer sei bei jeder bzw. jedem Einzelnen zu prüfen, ob sie oder er für den Arbeitsplatz geeignet ist. Pauschale Ausschlüsse allein aufgrund der Diagnose seien medizinisch nicht mehr gerechtfertigt und daher diskriminierend; berufsrechtliche Vorgaben und Regelwerke sollten überprüft und an den aktuellen Stand angepasst werden. Wagener wies darauf hin, dass gut eingestellte Menschen mit Typ-1-Diabetes in den USA, im Vereinigten Königreich sowie in Österreich sogar Flugzeuge fliegen dürften. Die Leitlinie sieht daher vor, individuelle Risiken und Kompensationsmöglichkeiten stärker zu berücksichtigen.

Quellen: 1. Pressekonferenz der DDG am 8.12.25; 2. Pressemitteilung der DDG vom 8.12.25; 3. S2e-Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“, Version 2.0.

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