Die steigende Prävalenz der Adipositas stellt weltweit eine Herausforderung dar. Auch in Deutschland war im Jahr 2019 bereits jede/r fünfte Erwachsene adipös (Frauen 19,0%; Männer 19,1%) – Tendenz steigend [4]. Die Folgen sind vielfältig: Stigmatisierung, ökonomische Belastung durch steigende Therapiekosten und Arbeitsunfähigkeit, hohe Morbidität durch Folgeerkrankungen.
Um eine patientenzentrierte, strukturierte Versorgung von Menschen mit Adipositas zu ermöglichen, ist am 01.07.2024 das Disease-Management-Programm (DMP) für Patientinnen und Patienten mit einem Body-Mass-Index ab 30 in Kraft getreten [5].
Adipositas-assoziierte chronische Veneninsuffizienz
Adipositas gilt unter anderem als Risikofaktor für die Entstehung und Progression von Erkrankungen des Venensystems – auch bei kompetentem Venenstatus [1], [2]. Bei dieser Adipositas-assoziierten chronischen Veneninsuffizienz fördert die Adipositas strukturelle und hämodynamische venöse Veränderungen und trägt zur venösen Stauung bei.
Als Pathomechanismen gelten neben einer chronischen Inflammation bei viszeraler Fettzunahme vor allem mechanische Effekte durch die abdominelle Fettschürze, die insbesondere im Sitzen venöse Obstruktionen der Beinvenen begünstigt [6], [7]. Diese venösen Veränderungen können fortschreiten und zu venösen Ulzerationen führen, die bei Adipösen häufig verzögert abheilen [8].
Eine zusätzliche Herausforderung bei adipösen Patientinnen und Patienten stellt die i.d.R. eingeschränkte Mobilität dar, was wiederum die Entstehung und Progression (funktioneller) venöser Insuffizienzen verstärken kann [9].
Kompressionstherapie als Säule der ganzheitlichen Behandlung
Die medizinische Kompressionstherapie (MKT) ist laut Leitlinie bei Adipositas mit funktioneller chronischer venöser Insuffizienz indiziert [3] und stellt eine kosteneffiziente, nebenwirkungsarme sowie niedrigschwellige Intervention dar. Frühzeitig eingesetzt kann sie die Lebensqualität steigern sowie Adipositas-assoziierte Folgeerkrankungen des Venensystems und Komplikationen verhindern bzw. signifikant abmildern [7], [10].
Laut Adipositas-Leitlinie ist die Grundlage des Gewichtsmanagements eine Verhaltens-, Ernährungs- und Bewegungstherapie [11]. Da die MKT ihre optimale Wirkung bei Aktivierung der Muskelpumpe entfaltet, ist die körperliche Aktivität der Patientin bzw. des Patienten auch integraler Bestandteil einer effektiven Kompressionstherapie [3].
Die Leitlinie zur Kompressionstherapie weist darauf hin, bei Kalibersprüngen der Extremitäten-Umfänge sowie bei vertieften Gewebefalten, wie sie bei Adipositas auftreten können, flachgestrickte medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) in Betracht zu ziehen [3].
Vor allem in der Entstauungsphase sowie beim Ulcus cruris venosum können auch medizinische adaptive Kompressionssysteme (MAK) eingesetzt werden. Sie können mit Hilfe von Klettverschlüssen durch Patientinnen und Patienten oder Angehörige selbstständig an-/abgelegt und bei Ödemreduktion nachjustiert werden [3].
Fazit für die hausärztliche Praxis
- Bei Adipositas ist ein frühzeitiges Screening auf Zeichen einer chronischen Veneninsuffizienz essenziell.
- MKT – v. a. in Kombination mit Bewegung – ist eine leitliniengerechte, effektive Therapie bei Adipositas-bedingter, funktioneller chronischer Veneninsuffizienz.
- MKS aller Kompressionsklassen und MAK sind zu Lasten der GKV verordnungs- und erstattungsfähig.
Quellen
- Padberg F et al. J Vasc Surg 2003;37:79–85
- Kirsten N et al. Vasc Health Risk Manag 2021; 29:17:679-687
- S2k-Leitlinie Medizinische Kompressionstherapie. Stand 12/2018
- Robert Koch-Institut; online unter: GBE – Adipositas und Übergewicht (ab 18 Jahre)
- G-BA; online unter: www.g-ba.de/ beschluesse/6299/
- Faerber G. Phlebologie 2018;47:55–65
- Reich-Schupke S. Phlebologie 2015;44:71–76
- Apollino A et al. Int Wound J 2016;13(1):27–34
- Belczak SQ et al. Phlebology 2022;37:196–199
- Stücker M, Olbricht W. Phlebology 2025 Jul 11: 2683555251358920
- S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas. Stand: 10/2024
Impressum
- Report in „Hausärztliche Praxis“ 16/2025
- Autor: Prof. Dr. med. Markus Stücker
- V.i.S.d.P.: J. Dielmann-von Berg
- Die Herausgeber der Zeitschrift übernehmen keine Verantwortung für diese Inhalte
- Mit freundlicher Unterstützung von eurocom – European Manufacturers Federation for Compression Therapy and Orthopaedic Devices