Gastrointestinale Erkrankungen sind sehr häufig – in weltweiten Untersuchungen gaben rund 20 Prozent der Befragten an, unter einer funktionellen Magen-Darm-Erkrankung zu leiden [1]. Die Betroffenen berichten von chronischen Ober- oder Unterbauchbeschwerden – insbesondere von Verdauungsstörungen und viszeralen Schmerzen.
Prominente Vertreter sind das Reizmagen- und das Reizdarmsyndrom (RDS). Die Diagnose wird symptombasiert, mittels Ausschlussdiagnostik gestellt. Für eine funktionelle Magen-Darm-Erkrankung sprechen gastrointestinale Beschwerden, anhaltende Symptome über 12 Wochen sowie das Fehlen eines organischen Krankheitsbilds in der Routinediagnostik.
Wie Prof. Ahmed Madisch aus Frankfurt/Main betonte, ist die Endoskopie essenziell für die Diagnose, da sie dem Ausschluss anderer Erkrankungen dient. Die chronische Diarrhö erfordert immer eine Diagnostik (ohne vorherige probatorische Behandlung), weil sich dahinter mehrere Erkrankungen verbergen können, die sich gezielt behandeln lassen.
Diagnose – not to do
- Bei unveränderter Symptomatik sollte keine wiederholte Diagnostik erfolgen.
- CT- oder MRT-Untersuchungen sind nicht erforderlich.
- Auch die Analyse spezieller Laborparameter, insbesondere Tumormarker sollten in der Regel unterbleiben, da sie zu einer Verunsicherung der Patienten führen können.
- Die Ergebnisse von Mikrobiomanalysen und vor allem Stuhlökogrammen helfen im Praxisalltag nicht weiter, da sich keine gezielte Therapie ableiten lässt.
- Gleiches gilt für Leaky-GUT-Marker wie z.B. das Zonulin.
- Der Nachweis auf nahrungsspezifische IgG ist ebenfalls nicht zielführend.
Aufklären und beruhigen
Wurde die Diagnose “funktionelle Magen-Darm-Erkrankung” gestellt, sollte sie den Betroffenen nicht nur mitgeteilt, sondern auch erläutert werden. Viele Patienten möchten die Störung verstehen und zugleich beruhigt werden, dass keine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt. Damit lassen sich viele Ängste nehmen – was für manche Patienten bereits einen Teil der Therapie ausmacht.
Madisch erklärt die Symptome häufig mit gestörten bzw. überempfindlichen Bauchnerven und vermeidet nach Möglichkeit von Entzündung zu sprechen. Seiner Erfahrung nach ist es vorteilhaft, sich einmal Zeit für eine ausführliche Erklärung zu nehmen und dadurch ein stabiles Vertrauensverhältnis aufzubauen – und um ein “Ärztehopping” zu verhindern.
Multimodaler Therapieansatz
Die multimodale Therapie fußt auf drei Säulen: Der Ernährung, der Verhaltenstherapie und der symptomorientierten, medikamentösen Behandlung [2]. In der S3-Leitlinie zum Reizdarmsyndrom sollte bei Schmerzen, Blähungen und Diarrhö als dominantes Symptom eine Low-FODMAP-Diät empfohlen werden, bei Obstipation kann man sie empfehlen [3].
Bei dieser Diätform werden schwer absorbierbare Kohlehydrate – fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole (FODMAPs) – vermieden. FODMAPs sind kurzkettige, schwer-absorbierbare Kohlenhydrate, die osmotisch wirken, vergären und Gas produzieren.
Dadurch kommt es zu Bauchschmerzen, Blähungen und weichem, voluminösem Stuhlgang. Im Gegensatz zu Gesunden reagieren Patienten mit Reizdarmsyndrom deutlich empfindlicher auf die entstehenden Gase.
Die Low-FODMAP-Diät besteht aus drei Phasen: Elimination, Toleranzfindung und Langzeiternährung. In der Eliminations-Phase werden FODMAP-reiche Lebensmittel komplett gemieden. Um einen Mikronährstoff-Mangel zu vermeiden, sollte diese Phase nur vier bis acht Wochen dauern.
Anschließend werden die Nahrungsmittel nach und nach wieder eingeführt und dabei die individuelle Verträglichkeit getestet. Der Erfolg dieser Diät wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen [3].
Medikamentöse Optionen
Gut wirksame Therapieoptionen sind unter anderem Phytotherapeutika und Probiotika. Bei den Phytotherapien gilt Pfefferminzöl als potentes Spasmolytikum. In einer Metaanalyse zeigte es sich hinsichtlich des Gesamtansprechens und der Schmerzen einer Placebogabe signifikant überlegen [4].
Die Wirkungsweise von Pfefferminzöl ist seit einigen Jahren bekannt: Die Blockade der Kalziumkanäle führt zu einer Entspannung der glatten Darmmuskulatur, zudem wirkt es entzündungshemmend, moduliert das Schmerzempfinden im Bauchraum und beeinflusst das Mikrobiom [5].
Die RDS-Leitlinie empfiehlt Pfefferminzöl mit starkem Konsens [3]. Wie Madisch berichtete, ist hierzulande allerdings kein konzentriertes Pfefferminzöl mehr erhältlich. Der Gastroenterologe setzt bei Reizmagen und Reizdarmsymptomen daher eine Kombination aus Pfefferminz- und Kümmelöl ein, das ebenfalls über eine gute Evidenz verfügt [6]. Diese Therapie kann auch längerfristig eingesetzt werden, vor allem, wenn sich die Symptome nach dem Absetzen rasch wieder einstellen.
Zusätzlich empfiehlt die Leitlinie ausgewählte Probiotika für die Therapie des Reizdarmsyndroms [3]. Wie eine neuere Studie belegte, wirken Probiotika nicht nur bei RDS sondern auch bei Reizmagen deutlich besser als Placebo [8]. Vielpflanzenextrakte (z.B. STW 5, STW 5 II) haben sich bei Reizmagen- und Reizdarmsymptomen ebenfalls bewährt und ihre Effektivität in Studien gezeigt [7].
Psychopharmaka wie das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin oder Duloxetin sind schwierigen Fällen vorbehalten. Die Dosierung ist deutlich niedriger als bei einer antidepressiven Therapie (bis maximal 30 mg/Tag).
Psychotherapeutische Intervention
Hier kommen insbesondere psychotherapeutische Verfahren wie kognitive Verhaltenstherapien, aber auch z.B. Yoga oder Strategien zum Stressmanagement zur Anwendung. Für den Praxisalltag ist Madisch zufolge die digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) “Cara Care für Reizdarm” hilfreich, welche die multimodalen Aspekte der Therapie gut abbildet und von den Patienten selbst genutzt werden kann.
Literatur:
- Sperber AD et al. Gastroenterology 2021; 160(1):99-114.e3
- Chey WD et al. Gastroenterology 2021; 160(1):47-62
- Layer P et al. Z Gastroenterol 2021; 59(12):1323-1415
- Khanna R et al. J Clin Gastroenterol 2014; 48:505-512
- Chumpitazi BP et al. Aliment Pharmacol Ther 2018; 47(6):738-752
- Madisch A et al. Dig Dis 2023;41(3):522-532
- Vinson B et al. JGH Open 2024; 8(5):e13054
- Wauters L et al. Lancet Gastroenterol Hepatol 2021; 6(10):784-792
Quelle: Online-Fortbildung “Gastro Kompass”