© picture alliance/dpa | Arne DedertProf. Ute Lewitzka ist Deutschlands erste Professorin für Suizidologie und Suizidprävention
Der Trigema-Gründer hatte im Juli öffentlich gemacht, dass er an einer Altersdepression leide und mit 84 Jahren versucht habe, sein Leben zu beenden. “Alle Prominenten, die Depressionen haben, sollen sich outen – das ist sehr hilfreich”, sagt Lewitzka, die sich für eine Entstigmatisierung dieser Krankheit einsetzt. “Aber sie sollen bitte auch mit dafür sorgen, dass zum Beispiel auch eine Verkäuferin vom Supermarkt genauso schnell ins Hilfesystem kommt und den besten Psychiater findet.”
Neben den bewährten Methoden, Depressionen zu behandeln – hauptsächlich Medikamente und Psychotherapie – gebe es weitere Optionen, die aus Lewitzkas Sicht bislang zu wenig genutzt werden. Eine ist die Elektrokonvulsionstherapie (EKT), bei der unter kurzer Narkose mit Strom ein Krampfanfall im Gehirn ausgelöst wird. “Das wirkt wie ein Gewitter im Gehirn, das Prozesse, Botenstoffe und Nervenverbindungen zurücksetzt.”
Gewitter im Gehirn
Aus den dunklen Anfangszeiten der Psychiatrie hätten viele Menschen Vorbehalte gegen den Einsatz von Elektrizität, räumt Lewitzka ein. Das sei aber unbegründet. “EKT ist heute eine sehr sichere und sehr effektive Methode, gerade für Patienten, bei denen bereits viele andere Therapien fehlgeschlagen sind.”
Eine Übersichtsstudie aus Basel, die in der Fachzeitschrift “Neuroscience Applied” veröffentlicht wurde, zeigte kürzlich, dass Menschen mit schwerer Depression nach einer solchen Behandlung ein um 34 Prozent geringeres Risiko hatten, durch Suizid zu sterben – verglichen mit jenen, die mit herkömmlichen Alternativen wie Antidepressiva behandelt wurden.
“Lithium ist ein unterverordnetes Medikament”
Noch weniger eingesetzt wird Lewitzka zufolge Lithium, ein natürlich vorkommendes Salz, das – als Medikament verabreicht – krankhaft schwankende Stimmungen ausgleichen kann. Lithium kommt in minimalen Spuren auch im Trinkwasser vor – und kann Suizide möglicherweise verhindern.
Eine in “Australian & New Zealand Journal of Psychiatry” veröffentlichte Metaanalyse von 2020, die Studien aus verschiedenen Ländern zusammenfasst, legt diesen Zusammenhang nahe: Je höher der Lithium-Anteil im Trinkwasser, desto niedriger war die Suizidrate. Die Autoren hatten dafür die Daten von 113 Millionen Menschen in 2.678 Regionen verglichen.
In Deutschland finde eine reguläre Behandlung mit Lithium in der Psychiatrie kaum statt, kritisiert Lewitzka. “Lithium ist ein unterverordnetes Medikament.”
“Die effektivste Methode der Suizidprävention ist die Methodenrestriktion”, sagt die Psychiaterin: Menschen, die sich das Leben nehmen wollen, den Zugang zur Methode ihrer Wahl so schwer wie möglich machen. Lewitzka sieht hier einen Ansatz, der nicht viel kosten muss und viel bringt. Als Beispiele nennt sie das Sichern von Bahngleisen oder Hochhausdächern. Zudem könnten Medikamente in kleineren Packungen abgegeben werden.
Am zweitwichtigsten findet die Expertin, dass Menschen in Krisen Hilfe finden: Es müsse genug niedrigschwellige Angebote geben, Ärzte sollten ein mögliches Suizidrisiko gut erkennen können.
Bei wie vielen Menschen, die ihr Leben beenden, eine psychische Erkrankung vorliegt, ist nicht bekannt. Einige Studien gehen von 90 Prozent aus, Lewitzka hält diese Zahl für zu hoch. “Es gibt immer wieder Menschen, wo selbst die engsten Angehörigen sagen, es habe keinerlei Hinweis auf eine Veränderung gegeben”, erläutert sie. “Das ist die Gruppe, um die ich mir am meisten Sorgen mache, weil wir nicht wissen, wie wir diese Menschen vorher erreichen können.”
Auch Hausärzte sollten Patienten ansprechen
Hat das Umfeld Sorge, dass jemand an Suizid denkt, sei Schweigen der falsche Weg, sagt Lewitzka. “Es ist ein Mythos, dass man mit einem Gespräch jemanden erst auf diesen Gedanken bringt oder ihn bestärkt.” Die Botschaft, die man vermitteln sollte, lautet: “Ich mache mir Sorgen. Ich möchte für Dich da sein.”
Auch Hausärztinnen und Hausärzten kann hier eine wichtige Schlüsselfunktion zukommen und sollten aktiv nach suizidalen Symptomen fragen, wenn sie den Eindruck haben, dass Patienten gefährdet sein könnten.
Die häufig geäußerte Sorge, dass solche Nachfragen das Suizidrisiko erhöhen, trifft nicht zu; im Gegenteil sind die meisten erleichtert, wenn Ärzte die Symptomatik aktiv ansprechen. Offene Kommunikation kann zum Hilfesuchen ermutigen und Suizide verhindern.
Quelle: dpa/red