Berlin. Als Teil eines europaweiten Ausbruchs von Hautdiphtherie sind in Deutschland ungewöhnlich viele Fälle der seltenen Erkrankung berichtet worden. Seit vergangenem Sommer seien 170 Nachweise gemeldet worden, die zu einem Ausbruch unter geflüchteten Menschen gehörten, teilte das Robert Koch-Institut (RKI) der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mit (Datenstand 12. April).
In knapp neun von zehn Fällen handelt es sich demnach um Hautdiphtherie, es wurden keine Todesfälle bekannt. Von dem jüngsten Ausbruch sind den Angaben zufolge nach Deutschland eingereiste Migrantinnen und Migranten betroffen, meist aus Syrien und Afghanistan. Es habe in dem Zusammenhang keine Fälle bei betreuendem Personal oder in der Allgemeinbevölkerung gegeben, erklärte das RKI.
Quelle des Ausbruchs ist unklar
Erkenntnisse zu dem Ausbruch wollen Forscherteams aus mehreren Ländern beim Europäischen Kongress für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ECCMID) in Kopenhagen vorstellen, der am Samstag beginnt. Zwischenstände zu dem Ausbruch hatte das RKI bereits im vergangenen Jahr vorgelegt.
Fachleute gehen davon aus, dass sich Betroffene weder in ihrem Heimatland noch in Deutschland infizierten. Die Quelle des Ausbruchs ist unklar, vermutet wird sie aber auf dem Weg entlang der Balkanroute.
Allein zwischen Januar und November 2022 stellten Forscherinnen und Forscher in zehn europäischen Ländern mehr als 360 Fälle fest, wie aus vorab vorgestellten Unterlagen zum Kongress hervorgeht. Angenommen wird, dass die Infizierten nicht oder nicht ausreichend geimpft waren.
Empfehlungen für medizinisches Personal
Um die Zahl der Ansteckungen zu vermindern, empfiehlt das Team um Dr. Helena Seth-Smith von der Universität Zürich unter anderem eine bessere Sensibilisierung von Migranten, Ärztinnen und Ärzten und zuständigem Personal sowie rechtzeitiges Screening von Risikopersonen.
Das RKI empfiehlt medizinischem Personal und Mitarbeitenden im öffentlichen Gesundheitsdienst folgende Maßnahmen:
- Bei auffälligen Hautläsionen vor Beginn einer antibiotischen Therapie allgemeine Erregerdiagnostik veranlassen.
- Bei klinischem Verdacht auf Hautdiphtherie zeitgleich zum Hautabstrich Nasen- und Rachenabstriche abnehmen. Hautläsionen abdecken. Impfstatus überprüfen und Impflücken schließen.
- Bei Nachweis potenziell Diphtherietoxin-Gentragenden C.spp. (C. diphtheriae, C. ulcerans, C. pseudotuberculosis) weitere, kostenfreie Erregerdiagnostik im KL für Diphtherie durchführen.
- Bei bestätigter Diphtherie Maßnahmen gemäß dem RKI-Ratgeber treffen (u. a. Identifikation von engen Kontaktpersonen, bei C. ulcerans Untersuchung von Haus- oder Nutztieren erwägen).
- Bei bestätigten Diphtheriefällen in Erstaufnahmeeinrichtungen gesonderte Hinweise zum Management von Ausbrüchen in Gemeinschaftsunterkünften berücksichtigen.
Üblicherweise nur Einzelfälle
Üblicherweise werden seit der Wiedervereinigung in Deutschland laut RKI jährlich nur Einzelfälle von Diphtherie gemeldet. Von 2016 bis 2021 betrug die Quote für die erste Impfung bei Babys 98 Prozent, wie das RKI auf Anfrage mitteilte, für die dritte waren es 91 Prozent. Erwachsenen wird eine Auffrischung in zehnjährigem Abstand empfohlen.
Laut RKI hatten hierzulande 2021 rund 53 Prozent der Erwachsenen in den vergangenen zehn Jahren eine Impfung gegen Diphtherie erhalten.
Zwei Formen von Diphtherie
Es gibt bekanntlich zwei Formen von Diphtherie: die respiratorische Diphtherie und die weniger gefährliche Haut- beziehungsweise Wunddiphtherie. Hautdiphtherie kann durch direkten Kontakt zu Infizierten oder infektiöse Ausscheidungen übertragen werden.
Die respiratorische Diphtherie wird in der Regel über Tröpfchen übertragen. Bei einer Infektion können Symptome wie Halsschmerzen, Heiserkeit und Fieber auftreten. Die Erkrankung kann tödlich verlaufen.
dpa/red