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Wichtig: Überprüfen Sie die Verordnung in regelmäßigen Abständen
Die Leitlinie Multimedikation empfiehlt eine einmal jährliche Kontrolle des Medikamentenplans. Die Leitlinie Demenz empfiehlt, die Überprüfung antipsychotischer Medikation bei BPSD (Behavioural and Psychological Symptomsof Dementia, also psychische und Verhaltenssymptome bei Demenz) alle vier Wochen vorzunehmen. Die Leitlinie Depression empfiehlt, bei unipolarer Depression das Absetzen nach sechs bis zwölf Monaten zu überprüfen.
Wichtige Faktoren beim Absetzen
Wenn keine Indikation für die Behandlung mit Psychopharmaka mehr gegeben ist, sollte ein Absetzversuch erfolgen. Wenn unklar ist, unter welcher Indikation die Verordnung der Medikation erfolgt ist, rechtfertigt dies ebenfalls, ein Absetzen zu erwägen.
Ein Absetzversuch ist aussichtsreich [11] , wenn:
• die Patientin bzw. der Patient gut informiert, motiviert und mitarbeitsfähig ist,
• ein klares schrittweises Absetzprotokoll vorliegt,
• eine kontinuierliche Begleitung und Beratung der bzw. des Betroffenen gewährleistet sind,
• keine schwere/chronische psychiatrische Erkrankung (Schizophrenie, bipolare Störung, schwere Depression) bekannt ist,
• keine schweren psychischen Symptome und Verhaltensauffälligkeiten (wie handlungsleitendes psychotisches Erleben oder Aggressivität) beobachtet werden,
• nichtpharmakologische Therapiestrategien gut etabliert sind.
Wichtig: Bei schweren psychiatrischen Störungen empfiehlt es sich, die Medikation nicht zu reduzieren bzw. psychiatrische Fachspezialistinnen oder Fachspezialisten in die Entscheidung einzubeziehen.
Die meisten Expertinnen und Experten empfehlen, Entscheidungen wie das Verordnen oder Absetzen eines Medikaments gemeinsam mit Patientinnen und Patienten und/oder den wichtigsten Bezugspersonen zu treffen. Dabei sollten alle Vor- und Nachteile offen diskutiert werden (Shared Decision Making, Informed Consent).
Hilfestellung dazu kann die Methode der Familienkonferenz bieten. [13] Ebenso ist es hilfreich, schriftliche Informationen zum Beispiel über Absetznebenwirkungen oder einen schriftlichen Absetzplan auszuhändigen. Im Idealfall wird das Absetzen und die regelmäßige Überprüfung der Medikation bereits bei der Verordnung thematisiert.
Dies erleichtert das Absetzen und stärkt die Compliance von Patientinnen und Patienten und/oder des Bezugssystems.
2. Antidepressiva absetzen
Antidepressiva, vor allem Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI), werden für vielfältige Indikationen verordnet. Neben den Hauptindikationen depressive Störung, Angststörung und Zwangsstörung finden Antidepressiva auch bei BPSD Anwendung. Außerdem kommen sedierende Antidepressiva oft off-label als Schlaf- und/oder Beruhigungsmittel zum Einsatz.
Circa 30 Prozent der Patientinnen und Patienten in Pflegeheimen erhalten dauerhaft Antidepressiva. [14] Bekannte potenzielle Nebenwirkungen sind unter anderem Elektrolytstörungen, Herzrhythmusstörungen sowie Stürze mit Frakturen; die Mortalität ist bei langfristiger Gabe erhöht. [1]
Die Ansprechrate für Antidepressiva ist bei geriatrischen Patientinnen und Patienten geringer als bei nichtgeriatrischen (NNT 6,7, 95% CI 4,8-10 für antidepressives Ansprechen) und ein Wirkeintritt ist am ehesten nach sechs (bis zwölf) Wochen zu erwarten.
Zudem scheint eine Augmentation (zum Beispiel mit Lithium, Quetiapin, Bupropion, Aripiprazol, Methylphenidat usw.) eher effektiv zu sein als ein Wechsel des Medikaments oder das Einsetzen eines zweiten Antidepressivums. Die Datenlage hierzu ist allerdings nicht sehr belastbar, es fehlen gute Metaanalysen zur antidepressiven Therapie bei dieser Patientengruppe.
Kriterien für eine Wirksamkeit sind Teil- oder Vollremission der psychischen Störung, wobei häufig keine Vollremission erreicht wird. Zum Teil werden antidepressiv wirksame Medikamente auch zur Rezidivprophylaxe beispielsweise bei rezidivierenden depressiven Störungen angewendet.
Das Absetzen eines Antidepressivums kann sowohl zu Absetzsymptomen [15] (circa jeder 6-7. Patient; circa jeder 35. Patient hat schwere Symptome) als auch zu einem Wiederauftreten der psychischen Erkrankung führen, weswegen besondere Vorsicht angebracht ist. [16]
Charakteristika des Antidepressiva-Absetzsyndroms [17]
unspezifische, überwiegend milde Symptomatik:
– grippeähnliche Symptome, Kopfschmerz
– Schlafstörungen, Albträume
– Übelkeit, Erbrechen
– Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Benommenheit
– stromschlagähnliche Missempfindungen
– Angst, Agitation, Reizbarkeit
– ggf. spezifisch serotonerge / cholinerge Syndrome
enger zeitlicher Zusammenhang zum Absetzen (meist nach circa 3-5 Halbwertszeiten)
vorübergehend; spontane Rückbildung je nach Halbwertszeit innerhalb von circa 2-6 Wochen
rasche Besserung der Symptomatik nach Wiederaufnahme der Medikation
Cave: Insbesondere ein verfrühtes Absetzen einer antidepressiven Pharmakotherapie birgt ein erhebliches Rückfallrisiko. Die Gefahr eines Wiederauftretens einer depressiven Episode ist bei geriatrischen Patientinnen und Patienten deutlich erhöht. Daher empfiehlt es sich, eine Gesundheitsüberprüfung alle vier Wochen in der Absetzphase und für mindestens sechs Monate nach Absetzen der Behandlung zu vereinbaren.
Wissenswertes zum Absetzen von Antidepressiva [11] , [17]
• Es liegen wenige qualitativ hochwertige und spezifische Absetzstudien im Alter vor.
• Es liegen wenige Studien dazu vor, wie lange ein Antidepressivum im Alter gegeben werden sollte. Die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) „Unipolare Depression“ spricht sich für eine Mindestbehandlung von neun bis zwölf Monaten bei depressiven Störungen im Allgemeinen (unbesehen vom Lebensalter) aus.
• Zur Vermeidung von Absetzsymptomen sollte ausschleichend vorgegangen werden (s. Fallbeispiel). Die NVL empfiehlt ein schrittweises Ausschleichen über einen Zeitraum von acht bis zwölf Wochen.
• Kombinationstherapien mit mehr als einem Antidepressivum oder Augmentation eines zusätzlichen Medikaments sollten nacheinander ausgeschlichen werden.
• Wenn Absetzsymptome auftreten, soll auf die vorherige Dosis erhöht werden und langsamer vorgegangen werden.
• Es kann erwogen werden, auf ein tropfenförmiges Antidepressivum der gleichen Substanzgruppe umzustellen, um langsamer ausschleichen zu können.
• Nach dem Absetzen des Antidepressivums sollten zur Überprüfung des Wiederauftretens depressiver Symptome für sechs Monate regelmäßige Arzt-Patienten-Kontakte stattfinden, zum Beispiel alle vier Wochen.
• Bei Demenz scheint ein erhöhtes Risiko des Wiederauftretens von depressiven Symptomen nach Absetzen der Antidepressiva zu bestehen. [18]
Praxistipp: Praxisverwaltungssysteme helfen durch Einrichtung eines Recall-Systems, die regelmäßige Überprüfung von Medikationsplänen zu erleichtern.
Beispiel aus der Praxis: Frau T., 75 Jahre
Die 75-jährige Frau T. bekommt wegen einer mittelschweren Depression anfangs Sertralin 50 mg/Tag, dann nach guter Verträglichkeit Sertralin 100 mg/Tag verordnet. Nach acht Wochen zeigt sich eine Remission des depressiven Zustandsbilds.
Begleitend nutzte die Patientin regelmäßige körperliche Aktivität (Rehasport), Maßnahmen zur Kognitionsförderung (Ergotherapie in der Gruppe) und Gruppenaktivitäten (Tanzgruppe, Seniorencafé). Psychotherapie war nicht verfügbar, daher war das Medikament verordnet worden.
Ein Jahr später erfolgt die routinemäßige Visite des Medikamentenplans. Dabei fällt auf: Die Leitlinie Depression empfiehlt das Ausschleichen einer antidepressiven Medikation sechs bis zwölf Monate nach Eintreten der Remission; die Medikation sollte nur fortgesetzt werden, wenn eine Indikation für eine Rezidivprophylaxe besteht, etwa bei rezidivierender depressiver Störung.
Die Indikation für die Dauerverordnung von Sertralin ist nicht mehr eindeutig gegeben. Die Patientin, ehemalige Ärztin, ist dem Behandler gut bekannt und es erfolgt ein kurzes Telefonat mit der Mitteilung, das Medikament ab dem Folgetag auszuschleichen.
Es tritt folgendes Problem auf: Die Patientin missversteht die ärztliche Empfehlung, das Sertralin langsam auszuschleichen und setzt das Medikament abrupt ab. Es kommt zu einem Antidepressiva-Absetzsyndrom, was die Patientin mit einer unspezifischen Schwindelsymptomatik in der Folgewoche akut in die Praxis führt.
Nach Wiedereinnahme des Antidepressivums sistieren die Symptome sofort. Mithilfe eines schriftlichen Absetzplans und der Patienteninformation zum Absetzen der NVL wird erneut das Antidepressivum ausgeschlichen.
In der Ausschleichphase und nach Absetzen des Medikaments wird ein regelmäßiger Termin zur Überprüfung von Absetzsymptomen und Depressivität (Gesundheitsüberprüfung) alle vier Wochen vereinbart. Dabei kommt es innerhalb der Nachbeobachtungszeit weder zu einem erneuten Auftreten von Absetzsymptomen noch zu einem erneuten Auftreten der depressiven Grunderkrankung.
Praxistipp: Alle 2-4 Wochen Reduktion des Antidepressivums um 25 Prozent der Ausgangsdosis (s. Tab. 2).
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Merke: Beim Absetzen ist eine informierte Entscheidung wichtig. Hilfreich sind ein schriftlicher Reduktionsplan und eine schriftliche Patienteninformation, etwa das Patientenblatt zum Absetzen von Antidepressiva der NVL „Unipolare Depression“ (s. Link-Tipp).
Link-Tipp: Die Patienteninformation „Antidepressiva – Was ist beim Absetzen zu beachten?“ finden Sie hier: hausarzt.link/ycoJt
Merke: Beim Absetzen ist eine informierte Entscheidung wichtig. Hilfreich sind ein schriftlicher Reduktionsplan und eine Patienteninformation.
3. Antipsychotika absetzen
Neben der Behandlung schwerer psychiatrischer Erkrankungen wie Schizophrenie, bipolarer Störung oder schwerer Depression finden Antipsychotika oft in der Behandlung von BPSD Verwendung. Ca 40 Prozent der Patientinnen und Patienten mit Demenz im Pflegeheim erhalten eine antipsychotische Medikation. [14] Antipsychotika sind bei diesen Patientinnen und Patienten die am häufigsten angewandte Psychopharmakagruppe.
Kriterien zur Auswahl von Antipsychotika (nach Klöppel 2021) [20]
1. Was für ein Wirkspektrum brauche ich?
sedierend
nicht sedierend
antipsychotische Potenz
2. Es sollte ein Medikament mit geringer anticholinerger Last gewählt werden.
3. Individuelle Risikofaktoren, Komorbiditäten, Komedikation und Kontraindikationen berücksichtigen:
QTc-Verlängerung
zerebrovaskuläre Risiken/Ereignisse
Gewichtszunahme, Stoffwechselstörungen, metabolisches Syndrom
Leber-/Nierenfunktionsstörungen
Sturzgefährdung
erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen
negative Effekte auf Kognition
4. Der Einsatz soll zeitlich begrenzt werden.
Laut S3-Leitlinie „Demenzen“ sollte der Einsatz von Psychopharmaka dann erwogen werden, wenn nicht pharmakologische Interventionen nicht wirksam oder nicht umsetzbar sind. In Notfallsituationen kann eine direkte psychopharmakologische Behandlung erforderlich sein. [19]
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) als evidenzbasiertes Gremium für rationale Arzneimitteltherapie benennt klar: „Als behandelnde Ärzte müssen wir uns von der weit verbreiteten Idee verabschieden, dass Antipsychotika bei Verhaltensstörungen bei Demenz (BPSD) gut wirksam seien.“ [21]
Hinzu kommt, dass die Schädlichkeit von antipsychotischen Medikamenten sehr gut belegt ist. So konnte gezeigt werden, dass eine Langzeitanwendung von Antipsychotika innerhalb eines 180-Tage-Zeitraums zu einer sehr deutlich erhöhten Mortalität führt: Haloperidol NNH 26 (3,8 Prozent absolut), Risperidon NNH 27 (3,7 Prozent absolut), Quetiapin NNH 50, (2,0 Prozent absolut), Olanzapin NNH 40 (2,5 Prozent absolut). [22]
Ein vermeintlich gutes Ansprechen von Verhaltensstörungen bei Demenz ist sehr wahrscheinlich in der Flüchtigkeit der Symptome selbst und nicht in der Wirksamkeit der Medikation begründet. Aus diesem Grund ist es geboten, Zielsymptome zu evaluieren (siehe oben) und die Indikation für ein Absetzen der Medikation zu überprüfen.
Es empfiehlt sich zudem, die Indikation und das Zielsymptom im Medikamentenplan zu vermerken. Eine Weiterbehandlung ohne Indikation entspricht nicht den Richtlinien der evidenzbasierten Medizin.
Praxistipp: Bei der Behandlung von Menschen mit Demenz, die Antipsychotika einnehmen, sollten Sie Reduktion und Ausschleichen regelmäßig bedenken.
Sollte das Medikament bei Verhaltensstörungen bei Demenz (BPSD) gegeben worden sein, ist es sinnvoll, einen Absetzversuch zu erwägen. Dasselbe gilt, wenn Antipsychotika bei Insomnie verwendet wurden. Da bei Insomnie meist niedrigdosierte, sedierende Antipsychotika Verwendung finden, kann ein direktes Absetzen erfolgversprechend sein.
Bei BPSD sollte ein langsames Absetzen erfolgen. Es empfiehlt sich, die Dosis alle zwei bis vier Wochen um circa 25 Prozent der Ausgangsdosis zu reduzieren. Wesentlich ist, dass Angehörige bzw. Pflegende gut in den Prozess eingebunden werden. Nichtmedikamentöse Interventionen zur Behandlung von Verhaltensstörungen bei Demenz sollten Anwendung finden. Evaluieren Sie das Absetzen: Treten erneut schwere Symptome auf, die einer medikamentösen Behandlung bedürfen?
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Wissenswertes zum Absetzen von Antipsychotika bei geriatrischen Patientinnen und Patienten [24]
• Das Absetzen von Antipsychotika bei Verhaltensstörungen bei Demenz sollte ein fester Bestandteil der Behandlungsplanung sein.
• Die Leitlinie Demenz empfiehlt, eine Überprüfung der Indikation alle vier Wochen durchzuführen.
• Im Rahmen des Absetzprozesses sollte mit Patientin bzw. Patient, Betreuenden, Pflegenden und Angehörigen das Absetzen besprochen und reevaluiert werden.
• Bei BPSD empfiehlt es sich, Antipsychotika langsam um -25 Prozent der Startdosis im Abstand von zwei bis vier Wochen zu reduzieren.
• Absetzerscheinungen und/oder ein Auftreten der bisher behandelten Symptome soll im Abstand von ein bis zwei Wochen überprüft werden.
• Wenn das komplette Absetzen eines Antipsychotikums nicht gelingt, ist schon eine Dosisreduktion ein Erfolg.
• Begleitend zum Absetzen sollten nichtmedikamentöse Verfahren, zum Beispiel zur Behandlung von Unruhe oder Insomnie, zum Einsatz kommen.
• Bei schwerer psychiatrischer Grundkrankheit wie Schizophrenie empfiehlt es sich, die Medikamente nicht abzusetzen oder einen Fachspezialisten für Psychiatrie hinzuzuziehen.
Praxistipp: Falls mehrere Antipsychotika verwendet werden, sollten diese nacheinander abgesetzt werden.
Merke: Das Absetzen von Antipsychotika bei Verhaltensstörungen bei Demenz sollte ein fester Bestandteil der Behandlungsplanung sein.
Beispiel aus der Praxis: Herr W., 77 Jahre
Der 77-jährige Herr W. lebt im Pflegeheim. Er hat im Rahmen von Verkennungen bei Demenz einen Mitbewohner mit einer Glasflasche geschlagen; daraufhin erhält er das Antipsychotikum Risperidon in erhöhter Dosis von 3 mg morgens und abends. Die Symptomatik bessert sich unter der Behandlung stetig, sodass die behandelnde Hausärztin nach acht Wochen eine Reduktion erwägt.
Sie bespricht mit den Pflegenden und Angehörigen, dass die Medikation wegen der potenziell fremdgefährdenden BPSD nur langsamer als in 25-Prozent-Schritten stattfinden soll. Risperidon wird aktuell als Lösung gegeben, was die Reduktion erleichtert. Es wird geplant, Risperidon in 0,5-mg-Schritten zu reduzieren.
Zunächst wird die morgendliche Dosis auf 2,5 mg, nach zwei Wochen die abendliche Dosis auf 2,5 mg reduziert. Die Reduktion erfolgt im 2-Wochen-Rhythmus. Unter 1,5 mg morgens und 1,5 mg abends zeigt sich erneut eine zunehmende psychomotorische Unruhe. Die abendliche Dosis wird daraufhin wieder auf 2 mg angepasst; hierunter sistiert die Symptomatik. Die Dosis von 1,5 mg – 0 mg – 2mg wird vorerst beibehalten. Unter dem Aspekt der Dosisreduktion war der Absetzversuch erfolgreich.
4. Schlaf- bzw. Beruhigungsmittel absetzen
Pflegeheimbewohner erhalten zu etwa 8 Prozent dauerhaft sedierende Medikamente, wobei es regionale Unterschiede gibt. [25] Dabei kann man grob drei Gruppen von sedierenden Medikamenten unterscheiden. Zum einen sedierende Antidepressiva, Antipsychotika oder Antihistaminika, zum anderen Benzodiazepine und Z-Substanzen.
Sedierende Antidepressiva und Antipsychotika können nach oben genannten Schemata entzogen werden. Der Entzug von Benzodiazepinen erfordert ein sorgfältiges und schrittweises Vorgehen, um Entzugssymptome zu minimieren und die Erfolgsaussichten zu maximieren. Ein Absetzen von Z-Substanzen (Zopiclon, Zaleplon, Zolpidem) sollte analog zum Entzug von Benzodiazepinen gehandhabt werden. Aktuelle Studien gehen davon aus, dass die Substanzen ein ähnliches Abhängigkeitspotenzial haben.
Dabei gilt: Eine Niedrigdosisabhängigkeit (weniger als 20 mg Diazepam-Äquivalent/Tag) kann am ehesten ambulant stattfinden. Eine Hochdosisabhängigkeit (>20 mg) sollte stationär erfolgen.
Wichtig: Bei Hochdosis-Abhängigkeit stationäre Entgiftung!
Ein langsames und schrittweises Reduzieren der Benzodiazepin-Dosis kann Entzugssymptome minimieren. Die Geschwindigkeit der Reduktion sollte individuell angepasst werden, basierend auf Faktoren wie der aktuellen Dosis, der Dauer der Einnahme und der individuellen Reaktion der Patientinnen und Patienten.
Bewährt hat sich, die Dosis alle ein bis zwei Wochen um 10 Prozent zu reduzieren (s. Abb. 2 und Tab. 4). Hilfestellungen für einen Ausschleichplan kann die Website https://www.benzo.org.uk/german/contents.htm geben.
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Das Ausschleichen sollte ärztlich/pflegerisch begleitet und individuell an die Toleranz der Patientinnen und Patienten gegenüber eventuellen Entzugssymptomen angepasst werden. Erfahrungsgemäß entstehen häufiger Entzugssymptome, wenn die Dosis auf 25 Prozent der ursprünglichen Menge sinkt. Die Entzugssymptome bessern sich im Verlauf.
Umstellung auf ein Benzodiazepin mit langer Halbwertszeit
Bei Patientinnen und Patienten, die kurzwirksame Benzodiazepine einnehmen, kann eine Umstellung auf ein Präparat mit längerer Halbwertszeit (wie Diazepam) sinnvoll sein. Dies hilft, Schwankungen der Wirkstoffkonzentration im Blut zu vermeiden und den Entzug besser zu kontrollieren. Diazepam-Tropfen sind gerade im Pflegeheimsetting eine bewährte Option für einen strukturierten Entzug. In der Praxis empfiehlt sich eine Umrechnung in Diazepam-Äquivalente gemäß Tabelle 3.
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Die Variabilitäten zwischen den unterschiedlichen Halbwertszeiten legen nahe, dass die angegebenen Äquivalenzdosen nicht exakt übernommen werden können, sondern mit Hilfe von klinischer Beobachtung und in Kenntnis der patientenindividuellen Physiologie interpretiert werden müssen.
Merke: Diazepam-Tropfen sind im Pflegeheim-Setting eine bewährte Option für einen strukturierten Entzug.
Beispiel aus der Praxis: Herr P., 83 Jahre
Der 83-jährige Pflegeheimbewohner Herr P. nimmt seit 20 Jahren Bromazepam 6 mg. Aufgrund der bekannten Schädlichkeit einer Benzodiazepin-Langzeiteinnahme gerade bei älteren Patientinnen und Patienten initiiert der Hausarzt einen Absetzversuch. Eine Langzeitbehandlung ohne Absetzversuch bei Insomnie gilt zudem als unwirtschaftlich und kann Regresse nach sich ziehen.
Vor dem Hintergrund einer leichtgradigen Demenz mit kognitiven Einschränkungen bespricht er das Absetzen nicht mit dem Patienten, wohl aber mit dem Pflegepersonal. Er rechnet die Dosierung in Diazepam-Äquivalente um (Bromazepam 6 mg entspricht circa 10 mg) und leitet das Tapering beginnend mit 20 Tropfen einer 10-mg /ml-Diazepam-Lösung ein.
Die Dosis soll pro Woche um zwei Tropfen reduziert werden. Das Problem, welches zum Misslingen des Absetzversuches führt, entsteht, weil der Patient auf seine abendliche Schlaftablette sehr fixiert ist und diese auch bei den Pflegenden vehement einfordert. In der nächsten Visite der mitbehandelnden Nervenärztin bespricht das Pflegepersonal das Problem mit ihr.
Diese setzt das Bromazepam mit den Worten „netter Versuch, Herr Kollege“ wieder an. Der Ausschleichversuch und die Indikation für eine Langzeitbehandlung bei Benzodiazepin-Niedrigdosisabhängigkeit werden dokumentiert und die Verordnung wird fortgesetzt.
5. Risiken und Herausforderungen beim Absetzen
Das Absetzen von Psychopharmaka kann zu Verunsicherung bei Pflegenden, Angehörigen und Patientinnen und Patienten führen. Auch können Entzugssymptome auftreten, vor allem bei Benzodiazepinen. Eine gute Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten unter Einbezug des Systems ist daher wichtiger Bestandteil der Absetzstrategie.
Es ist eine Kunst von nicht geringer Bedeutung, Medikamente richtig zu verabreichen; doch es ist eine noch größere und schwierigere Kunst, zu wissen, wann man sie aussetzen oder ganz darauf verzichten sollte.
Das Absetzen erfordert Zeit. Das Monitoring von Entzugssymptomen und/oder des Wiederauftretens von Symptomen wie Depressivität oder Unruhe ist wichtig, aber aufwendig. Das bisherige Vergütungssystem belohnt das Absetzen als Strategie einer guten medizinischen Behandlung nicht.
Genaue Studien zum Nutzen des Absetzens fehlen, allerdings ist der Schaden einer Langzeittherapie mit psychotropen Medikamenten bei geriatrischen Patientinnen und Patienten gut belegt. Die Thematik Überversorgung zeigt sich in den letzten Jahren als immer wichtigerer Forschungsgegenstand und in diesem Zusammenhang auch das gezielte Absetzen von Medikamenten.
Eine Leitlinie „S3-Leitlinie DEprescribing-LeiTlinie PsychopharmAka in der Hausarztpraxis / DELTAH“ ist im September 2024 bei der AWMF angemeldet worden, mit dem Ziel der Fertigstellung Ende 2027. Ziel ist es, eine deutsche Deprescribing-Leitlinie unter Einbindung von Leistungserbringenden und Patientinnen und Patienten zu erstellen – zur Indikationsstellung für das Deprescribing von Psychopharmaka, zur praktischen Durchführung und zum Empowerment der Patientinnen und Patienten.
Fazit
Psychopharmaka werden bei geriatrischen Patientinnen und Patienten häufig unkritisch langfristig verordnet. Dabei ist ihre Wirksamkeit oft begrenzt und sie können erhebliche Nebenwirkungen verursachen. Die Betroffenen können vom Absetzen der psychiatrischen Medikation profitieren, wobei dies Kognition, Lebensqualität oder Lebensdauer betreffen kann.
Hausärztinnen und Hausärzte sollten regelmäßig die Notwendigkeit einer medikamentösen Therapie hinterfragen und prüfen, ob ein schrittweises Absetzen („Deprescribing“) sinnvoll ist. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Polypharmazie und der erhöhten Vulnerabilität älterer Menschen essenziell.
Nichtmedikamentöse Alternativen sind oft wirksame und sicherere Optionen, werden aber zu wenig genutzt. So sind psychosoziale Interventionen sowie Schlafhygienemaßnahmen bei Demenz und Verhaltensauffälligkeiten essenzielle Therapiebausteine.
Ein erfolgreicher Absetzprozess erfordert ein strukturiertes Vorgehen: ursprüngliche Indikation und behandelte Zielsymptome klären, Medikation unter Berücksichtigung von Nutzen und Risiken evaluieren, Entscheidung zur Reduktion der Medikation in Zusammenarbeit mit den Betroffenen, Pflegenden und Angehörigen treffen, zur Minimierung von Entzugssymptomen und Rückfällen langsam ausschleichen, Patientinnen und Patienten engmaschig begleiten und ein mögliches Wiederauftretens von Symptomen monitoren.
Hausärztinnen und Hausärzte spielen die Schlüsselrolle beim Deprescribing, müssen jedoch Herausforderungen wie Zeitmangel und Notwendigkeit der Abstimmung mit Pflegenden und Angehörigen bewältigen. Zudem fehlen klar definierte Regelungen für das Deprescribing in Deutschland. Klare Absetzstrategien, strukturierte Entscheidungshilfen, eine patientenzentrierte Kommunikation und die Nutzung von nichtmedikamentösen Therapieoptionen können den Prozess erleichtern.
Die Integration von Absetzempfehlungen in Leitlinien und die Bereitstellung praxisnaher Hilfsmittel auch seitens der Fachgesellschaften (zum Beispiel Spickzettel, Checklisten) sind nötig, um eine rationale, evidenzbasierte Reduktion von Psychopharmaka in der Versorgung geriatrischer Patientinnen und Patienten zu fördern.
Literatur
CME-Infos
Diese Fortbildung ist gültig vom 10.09.2025 bis 10.9.2026
VNR: 2760909014707720017
Stand: August 2025
Autor: Dr. med. Tobias Samusch
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